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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Der vor einigen Jahren verstorbene britische Opernregisseur Colin Graham mochte nackte Beine. Deshalb tragen die Frauen in Mozarts "Idomeneo" eine Art griechisch-antiken Minirock mit Sechzigerjahre-Dekor. Darin stehen sie einigermaßen dekorativ herum, schreiten auf und ab und recken gelegentlich die Arme. Viel mehr an Personenregie war von Graham nie zu erwarten und wahrscheinlich war er gerade deshalb einer der Lieblingsregisseure von Benjamin Britten. Er ließ das Stück in Ruhe und gab den Sängern ausreichend Platz, sich zu entfalten. Mögen die Opernmacher auf dem Kontinent auch schon lange neue Wege gegangen sein, auf den Bühnen der Insel hielt man noch lange an Opas Oper fest. Ein Zeichen dafür ist das vollkommen lächerliche Seeungeheuer, das im Bühnenhintergrund sein Wesen treibt. Die Titelpartie in dieser von Benjamin Britten eingerichteten und dirigierten Version singt Peter Pears, und die Rolle kommt für ihn bereits ein wenig spät. Niemand hätte erwartet, dass er die Koloraturversion von "Fuor del mar" singt, aber dass er dieses Herzstück der Oper komplett auslässt, ist dann doch eine Überraschung. Heather Harper kann als Illia überzeugen, die übrigen Sänger sind auch unter konservativen Gesichtspunkten nicht ideal besetzt.
Bei allen Einwänden ist diese Fernsehadaption einer Inszenierung des Aldeburgh-Festivals doch ein interessantes Zeitdokument. Denn nach einer gewissen Eingewöhnungszeit wird deutlich, dass es Britten um eine allgemein verständliche Bearbeitung des Konfliktes ging, um den gestischen Ausdruck der inneren Zerrissenheit der Protagonisten. Heutige Mozartinterpretationen gehen ganz andere Wege und häufig überzeugendere. Dennoch haben Brittens Tempi eine innere Folgerichtigkeit, ist es sinnvoll die Oper auf Englisch singen zu lassen. Die Textverständlichkeit ist vorbildlich, die freilich eher am Verismo geschulte Phrasierung detailliert gearbeitet. Eine Rarität für den Mozartliebhaber, der auch die Seitenwege der Rezeptionsgeschichte verfolgen will, und für eingefleischte Pears-Fans.

Uwe Friedrich, 06.12.2008


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