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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Diverse

Cantabile

Sol Gabetta, Prager Philharmoniker, Charles Olivieri-Munroe

SonyBMG 88697 31279-2
(54 Min., 5/2008) 1 CD



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Dmitri Schostakowitsch

Cellokonzert Nr. 2 g-Moll op. 126, Cellosonate d-Moll op. 40

Sol Gabetta, Mihaela Ursuleasa, Münchner Philharmoniker, Marc Albrecht

SonyBMG 88697 34261-2
(66 Min., 1/2008, 5/2008) 1 CD



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Sol Gabetta ist wirklich ein Phänomen: Wer als Debütantin bei einem der großen Labels in wenig mehr als einem Jahr vier Aufnahmen unterbringt, wer das auch noch schafft, obwohl er keines der wirklich populären Instrumente spielt oder gar singt, wem das überdies zu einer Zeit widerfährt, da die großen Labels links und rechts ihre besten Künstler abhalftern – der muss ein Phänomen sein. Dass die noch nicht 25-jährige Gabetta meistens auch phänomenal gut Cello spielt, ist fast schon die Kehrseite derselben klingenden Münze. Eine Zeit lang konnte man sich nicht retten vor TV-, Radio- und Printberichten über sie, aber das hatte wohl auch damit zu tun, dass sie eine attraktive junge Frau ist, mit langen blonden Haaren und einem entwaffnenden Lächeln – jung, frisch, kess, bisweilen sogar verwegen. Quasimodo, der Glöckner von Notre-Dame, könnte der begnadetste Cellospieler der Welt sein, höher als bis zum ersten Pult des Regionalorchesters von Clérmont-Ferrand würde seine Karriere vermutlich nicht klettern. Hoffentlich sitzt Sol Gabetta nicht in der Christine-Schäfer-Falle. Ein paar Jahre war Schäfer die jüngste, hübscheste und zugleich begabteste Sopranistin auf dem Plattenmarkt. Dann kam Anna Netrebko. Und seit geraumer Zeit werden Namen gehandelt, die wiederum deren Nachfolgerinnen sein könnten ...
Die beiden neuen Aufnahmen von Sol Gabetta widmen sich zwei höchst divergenten Musiksparten: dem mitunter halbseidenen, aber meist lebendigen Crossover – und Schostakowitsch. Die Crossover-Scheibe heißt "Cantabile" und enthält nur Schmankerln, aber nicht das übliche Zugabenpotpourri, sondern "Lieder ohne Worte", auch Opernarien "ohne", von Manfred Grafe zuverlässig arrangiert für Cello und Orchester. Mischa Maisky ist ja schon lange auf diesem Trip, Schubert- oder Brahmslieder "ohne Worte" anzubieten. Was bei ihm aber die pure Eitelkeit ist, die sich über die Bedeutung der Texte hinwegsetzt und sagt: Mein sinnlicher Celloton genügt – das ist im Fall Gabetta pure Spiellaune, keckes Sich-Anverleiben, nicht Hochmut, sondern oft Mut. Und tatsächlich singt sie dann auf ihrem Guadagnini-Cello, von kapriziös (Offenbach) über schmalzschmelzend (Tschaikowski) bis übermütig (Bizet), hochraffiniert mitunter, und es stört auch fast gar nicht, dass sie von den "Prager Philharmonikern", offenbar einem Ad-hoc-Orchester (also nicht die Tschechische Philharmonie Prag), ziemlich hemdsärmelig begleitet wird. Aber bis auf den "Bonustrack" (Rossinis "Barbier" nur mit Klavier, arrangiert von Mario Castelnuovo-Tedesco) ist diese CD wie eine Abfolge mehr oder minder delikater Vorspeisenhäppchen – sie lässt hungrig. Es sind Variationen über wesentlich einen Ton. Schostakowitsch dagegen fordert alles, was die junge Cellistin hat, da gibt es kein Verstecken hinter Attitüden wie "raffiniert", "elegant" oder dergleichen. Aber auch das kann sie. Schon wer sich das späte zweite Cellokonzert erwählt statt des ersten, was bedeutet: Introspektion statt zirkusartigen Selbstbespiegelns, der will es sich nicht einfach machen. Der Rezensent erinnert sich, wie bei einem Konzert in Landau bald eine Dreiviertelstunde gewartet werden musste, weil der Solist Rostropowitsch offenbar in letzter Minute entschied, doch nicht das damals gerade druckfrische zweite Schostakowitschkonzert zu spielen, das auf dem Programm stand, sondern das "sichere" erste. Im zweiten gewinnen die Depressionen eines enttäuschten alten Mannes die Oberhand, und wie macht das ein von der Karriere besonntes, noch nicht 25-jähriges Mädel? Gut genug. Man merkt mitunter schon, dass das nicht ihre Welt ist, nicht sein kann. Aber in manchen Passagen der Verlorenheit vergisst man auch, dass Gabetta alles hat, was dem Komponisten verwehrt war: Gedankenfreiheit und ein Erfolg ohne Unterwerfung. Sol Gabetta ist ein Glückskind, Schostakowitsch war's nicht, aber irgendwo im Niemandsland der Kunst treffen sie aufeinander. Zumal im zweiten Satz, wo der Komponist sein eigenes Zitieren (aus dem ersten Konzert) noch einmal zitiert, nur diesmal ganz anders. Und in der Cellosonate op. 40 haben der noch junge Komponist und die junge Interpretin dann doch noch ein Heimspiel: gemeinsam gelebte, nicht lediglich fantasievoll nachempfundene Musik. Die Schostakowitsch-Scheibe ist wirklich gut. Dazu kann man sich von der andern jeweils einen "Gruß aus der Küche" oder ein Dessert holen. Oder auch einen Zwischengang.

Thomas Rübenacker, 05.09.2008




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