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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Frédéric Chopin

Etüden op. 10 und op. 25

Murray Perahia

Sony SK 61885
(55 Min., 6/2001, 7/2001) 1 CD

Käme Murray Perahia, der Tüftler der Zartheiten, hier mit Chopins Nocturnes oder Walzern, wir hätten ihn erfreut, aber kaum überrascht begrüßt. Jaja, wieder einmal Eusebius, der sanfte Dichter ... Aber die Etüden, dieses Terrain athletischer Leistungsschau, auf dem er sich mit Ungeheuern der Vergangenheit (Backhaus!) und der Gegenwart messen muss? Einem Louis Lortie etwa, der im Konzert alle 24 ohne einen falschen Ton (es ist wahr!), dafür voll übermütigem Charme hinlegt, als sei das gar nicht schwer.
Perahia wagt das scheinbar Unmögliche: einen bedächtigeren Gegenentwurf. Bedächtig, aber durchaus nicht samtpfötig-lasch, wie er allen Zweiflern gleich mit der ersten Etüde zeigt. Auf mächtig orgelndem Bass meißelt er die Rechte unerwartet kantig aus. Doch der Puls bleibt ruhig, gewährt Deutlichkeit, selbst dort, wo zerstörerische Dramen zu inszenieren sind. So wächst das a-Moll-Schauerstück (op. 25/11) zu wirklich niederschmetternder Großartigkeit voll packender Kraftstöße der linken Hand an, gerät der Schluss der cis-Moll-Etüde zur reinsten Höllenfahrt, so glasklar ausgestanzt sind die Sechzehntel-Wechselnoten.
Es ist schon überraschend, welche Fülle an Details Perahia aus den rasanten Vorführnummern holt, indem er sie ein wenig ruhiger und gewichtiger nimmt. Wir hören tatsächlich alle Artikulationsvarianten der As-Dur-Etüde (op. 10/10)! Gewiss, Backhaus' Version der f-Moll-Etüde (op. 25/2) ist eine funkenstiebende Zirkusnummer für die Ewigkeit, aber mehr Musik macht Perahia daraus, der Unmerklichkeiten wie jene Poco-ritardando-Innehalte kurz vor Schluss so auskostet, dass wir sie als Beispiele sanfter Humanisierungen der gnadenlos fordernden Etüdenmechanik verstehen können. Je mehr Details Perahia zum Sprechen bringt, desto tiefer, schöner und zerbrechlicher wirkt diese oft auf das Sportive reduzierte Musik.
Das Belcanto-Gesicht des Zyklus aber dürfte kaum ein Lebender betörender einfangen. Man höre bloß, wie Perahia die langen Kantilenen im Mittelteil der Oktaven-Etüde aussingt, wie die Äolsharfen-Etüde in allen Farben irisiert. Fragil-schillernder hat man das seit Ivan Moravec nicht mehr vernommen. So ist diese delikate Klavier-CD Murray Perahias gelungenste Aufnahme seit langer Zeit, und sie wird bleiben.

Matthias Kornemann, 01.09.2007


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