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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Folgt man der aktuellen Glenn-Gould-Biografie von Kevin Bazzana, war es der Geiger Alexander Schneider, der dem jungen Kanadier den Weg zu einer großen Schallplattenkarriere geebnet hat. So soll Schneider kurz vor Goulds New Yorker Debütkonzert Anfang 1955 einen Schallplattenmanager mit den Worten auf das Talent aufmerksam gemacht haben: "Leider ist er ein wenig verrückt, hat aber am Klavier eine bemerkenswerte, hypnotische Wirkung." Schneider hatte da wohl nicht zuviel versprochen. Nach dem Konzert bekam Gould einen Exklusivvertrag, den er sofort mit der Jahrhundertaufnahme von Bachs "Goldbergvariationen" rechtfertigte. Der damals erst 23-jährige Gould konnte aber da bereits auf ein musikalisch umfangreiches Vorleben zurückblicken. Nur gab es bis u. a. auf die Privataufnahmen mit seinem Klavierlehrer Alberto Guerrero oder einer frühen Bergeinspielung davon nicht viel zu hören. Zumindest gilt das für die Gouldfans, die nicht tief ins Portmonee greifen wollten, um sich auf CD all die Radiomitschnitte schicken zu lassen, die Gould zwischen 1952 und 1955 für den kanadischen Rundfunksender CBC aufgenommen hatte.
Wesentlich preiswerter ist dagegen nun die 6-CD-Edition "The Young Maverick", die Goulds früh ausgebildetes, strukturelles Denken und seinen Sinn fürs Symmetrische dokumentiert. Und dabei standen mit Bach sowie dem Dreigestirn der so genannten Zweiter Wiener Schule Goulds Leib- und Magenkomponisten zwangsläufig im Mittelpunkt. Neben der vor einigen Jahren erstmals in Deutschland veröffentlichten vierten Version der "Goldberg-Variationen" vom 21. Juni 1954, die eine Mischfassung der elanvollen Einspielung von 1955 und der radikal konzentrierten Aufnahme von 1981 ist, bietet die Box die Sinfonien aus den dreistimmigen Inventionen und das Italienische Konzert. Und im großen Finale kann man nur bestaunen, wie Gould in den Variationen von Webern, in ausgewählten Soloklavierwerken Schönbergs und besonders in dessen Klavierkonzert seine Röntgenohren aufstellt, um die expressiven Verspannungen und Verdichtungen einzufangen. Im umfangreich mit den ersten drei Klavierkonzerten, zwei Variationszyklen sowie den Bagatellen op. 126 abgesteckten Block ist Goulds späterer, provozierender Umgang mit Beethoven nur von Ferne angedeutet. Dafür ist Gould im Finalsatz der A-Dur-Sonate op. 101 geistig und spieltechnisch im Vollbesitz seiner Kräfte und Möglichkeiten, um die riesige Architektur mit ihren polyfonen Verstrebungen auszumessen. Hypnotische Wirkung hinterlässt hingegen der Mitschnitt von Beethovens Geistertrio nicht, das Gould 1954 mit der Cellistin Zara Nelsova und Alexander Schneider an der Violine während eines Summer Festivals aufgeführt hatte. Doch mit seinem vitalen Zugriff sorgte er für einen ansteckenden Schwung, wie man ihn vom Kammermusiker Gould danach nie wieder geboten bekam.

Guido Fischer, 22.03.2008


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