Deutsche Grammophon 449 747-2
(1965) Komponiert: 24. Mai bis 1. Juni 1840, Erstdruck: 1844; ADD
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Philips 416 352-2
(1985)
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Ob Robert sich seiner Clara nicht sicher war? Oder ob er sich selbst nicht ganz traute? Oder ob Heines tiefsinnige Ironie, der Zwiespalt seines Dichtens, den Ausschlag gab, im "Liederjahr 1840" (so nennen es die Schumann-Kenner gerne) gerade aus dem "Lyrischen Intermezzo" des "Buchs der Lieder" den Zyklus "Dichterliebe" zu komponieren? Das "Liederjahr" war aber doch auch das Hochzeitsjahr der Schumanns: Die deutsche Romantik lebte, anders als es der Gemeinplatz will, nicht aus dem Überschwang der Gefühle allein, sondern mindestens ebenso sehr aus der stillen Verzweiflung an der Welt, einer unbezwingbaren Heimatlosigkeit. Kaum je ist das Bittersüße der Liebe, in deren Wonne die Angst vor der Einsamkeit eingewoben ist, derart vollkommen in Töne umgesetzt worden wie Schumanns "Dichterliebe".
Meine beiden Lieblingsaufnahmen des Zyklus' spiegeln diese Janusköpfigkeit von Text und Musik und stammen zudem von den wohl größten deutschen Sängern der letzten Jahrzehnte. Während Fritz Wunderlich mit jugendlicher Unbeirrbarkeit seinen Weg durch den Zyklus geht, aus der Niederlage den Mut zum neuen Aufbruch zu schöpfen scheint, geraten Dietrich Fischer-Dieskau die sechzehn Lieder zur tiefsinnigen Reise in die schwarze Nacht. Naivität und Intellektualität aber sind bei diesem Werk keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern zwei Perspektiven auf ein Vexierbild, dessen Gestalt nicht stillzustellen ist. Dem entsprechen die Pianisten beider Aufnahmen: Giesen ist väterlicher Freund am Flügel, Alfred Brendel ein widerborstiger, selbstbewußter Gesprächspartner seines Sängers.
Spätestens im vierten Lied, "Wenn ich in deine Augen seh", treten die Unterschiede unüberhörbar zu Tage. "Wenn ich mich lehn an deine Brust / Kommt's über mich wie Himmelslust" - wie schnell würde aus Himmelslust höchst irdische Brunft werden, wenn man das Wort nur ein wenig zu augenzwinkernd artikulierte. Wunderlich hingegen tönt die Vokale zwar sinnlich, aber ohne jede Anzüglichkeit, in heiliger Einfalt. Fischer-Dieskau legt schon über das stille Glück der ersten Lieder den grauen Schleier melancholischer Rückschau. "Doch wenn ich küsse deinen Mund / So werd ich ganz und gar gesund", heißt es ebenfalls in Nummer 4. Wunderlich verströmt seinen Charme, Fischer-Dieskau inszeniert eine geisterhafte Beschwörung. Für einen alten Mann, und nur den kann sein Bariton im Jahre 1985 zeigen, steht der Tod vor der Tür, ganz gleich, ob er zuvor noch einmal ein junges Mädchen geküsst hat.
Fischer-Dieskaus künstlerische Wahrhaftigkeit zwingt ihn dazu, dem in die Augen zu sehen: Heines "Kindchen" könnte dem Alter nach seine Tochter sein. "Ich grolle nicht", soll der alte Mann also singen (Nr. 7) - aber wie, wenn ihn der Kummer zerreißt? Also zürnt er doch, mit rollendem R, aus jedem Konsonanten spricht Entrüstung und Schmerz. "Die alten und bösen Lieder" (Nr. 16), sie gehören hier einem alten und bösen Mann. Wer Wunderlich hört, verlässt den Dichter beschwingt von süßer Schönheit und zartem Schmerz. Wer sich Fischer-Dieskau aussetzt, den schmerzt das Ende alles Schönen.
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