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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Diverse

Klaviersonaten, Balladen, Préludes u.a.

Ivan Moravec

Koch/Supraphon SU 3580-2114
(1962 - 1982) 4 CDs

Als Ivan Moravec im Januar den "Cannes Classical Award" für sein Lebenswerk erhielt, würdigte man einen Künstler, der ein Gutteil dessen, was Lebenswerk und Karriere hätte werden können, seiner Vision der Vollkommenheit geopfert hat. Moravecs überschaubare Aufnahmen kann man mit Lyrikbänden vergleichen, zu kostbar und gefeilt, um die Vielen zum Jubeln zu bringen. Doch diese Produktionen aus den sechziger Jahren machten ihn für jene, die hören wollten, zum Pianisten der Pianisten.
Moravec ist ein Poet, aber keiner, der sich seiner Sensibilität ergibt. Moravec zählt zu jener Gattung, die unermüdlich feilt und erst innehält, wenn sein Spiel seiner Vision gleicht. Jede Note ist bedacht, erprobt, hundertfach gewogen und in diesem artistischen Universum an ihrem Platze. Und dennoch ist es, hören wir Beethovens 32 c-moll-Variationen, nicht die geradezu unheimliche Exaktheit, die uns fesselt. Es ist der Expressivitäts-Überdruck, der auch die Finalsätze der "Pathétique" und "Mondschein-Sonate" fast fiebernd spontan wirken lässt. Hier ahnt man Moravecs Kunstgeheimnis. Äußerste Perfektion fängt ein geradezu vulkanisches Temperament auf und objektiviert auch fantastische, ja exzentrische Züge seiner Interpretationen.
Mögen die finalen Eruptionen der Chopin-Balladen, die Akkordrepetitionen der zweiten oder die irrwitzig zerklüfteten Schlussseiten der vierten Ballade auch rasanter ausfallen als selbst bei Pollini, niemals würden sie die Werkproportionen verrücken. Die Pianissimo-Zartheiten zuvor waren ebenso Ausdrucksextreme. Extreme koloristischer Feinarbeit. Man höre nur, wie in der g-Moll-Ballade das Seitenthema mit weichen Konturen aus dem Dämmer hervorkommt, mit welch minimalem Nachdruck Moravec es allmählich aus dem harmonischen Gerüst heraustreten lässt. In ähnlicher Weise färbt er die Wiederholung des Liedthemas der F-Dur-Ballade im zweiten Auftritt ein wenig metallischer.
Es sind nicht allein diese zartesten Abtönungen, die Moravecs Debussy-Aufnahmen selbst über die Michelangelis erheben. Das dunkelste, für Debussys Kunsttheorie programmatische Prélude "Les sons et parfumes" gelingt darum so vollendet, weil dieses Kreisen der Sinneseindrücke nicht nur ein Thema farblicher Wahrnehmung, sondern eines der Bewegung selbst ist. Die Balance ist das eigentliche Wunder.
Sollte ich jene Interpretation nennen, die mich am meisten angerührt hat, so ist es das Finale der Beethoven-Sonate Opus 90. Mag das Liedthema auch in breitestem Tempo strömen, die x-te Schubert-Vorahnung will Moravec nicht hervorbringen. Allzu eisig und klar ist jede harmonische Wendung der Begleitung, jede Mittelstimmen-Bewegung abgelichtet. In dieser Poesie der Deutlichkeit ist kein Raum für Sentiment. Und doch, auf der letzen Seite dieser kühlen Schönheitsfeier scheint das goldene Spinnrad stehenzubleiben, und indem sich die Melodie, unendlich zag, in einem Choral noch einmal zusammenfindet, hat sie sich verändert. Als habe sie ihre Stimme erst gefunden. Wie Moravec diesen Moment von Werden und Abschied geradezu vergoldet, das ist einer der herrlichsten Klavieraugenblicke, die je auf Platte gebannt wurden.
Das Wesen dieser Kunst erzieht den Hörer zu geduldiger Einfühlung. Das ist ein Teil ihres exzeptionellen Wertes. Moravec ist der Mallarmé unter den Pianisten.

Michael Wersin, 01.09.2007


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