Brillant/Joan Records MMK92439
(257 Min., 1956 - 1991) 5 CDs
Eigentlich verbietet es der Anstand, ausführlich auf diese späten Lied-Aufnahmen Dietrich Fischer-Dieskaus einzugehen. Entstanden in den Jahren 1986-91 für die Label Bayer Records und Claves, dokumentieren sie den traurigen Verfallszustand von Fischer-Dieskaus Stimme in dessen siebtem Lebensjahrzehnt. Am ehesten funktioniert noch seine einst so betörend schöne Voix mixte, aber auch sie entzieht sich immer wieder der kontrollierten Führung, die unter voller Belastung kaum mehr möglich scheint: Stumpfe, harsch forcierte Spitzentöne sind nur die erschreckenden Gipfelpunkte eines innerhalb der repräsentierten sechs Jahre zunehmend haltlosen Umherschlidderns in Kantilenen, die der junge Sänger einst mit überwältigender Vollkommenheit zu gestalten verstand. Bestürzend hilflos der Versuch, durch die Wahl abseitigeren Repertoires (Lieder von Carl Maria von Weber, frühe Gesänge von Hugo Wolf) dennoch Interesse zu wecken; diese Aufnahmen sollten nicht gutgläubigen Hörern zum Schleuderpreis untergejubelt, sondern lieber vom Markt genommen werden.
Um sich wieder mit Fischer-Dieskaus Kunst zu versöhnen, hilft nur starkes Gegengift: Am besten ganz frühe Dokumente vom Ende der 40er Jahre (bei Archipel/Gebhardt gibt es z. B. einen Schwanengesang mit dem Berliner Rundfunk-Pianisten Klaus Billing): Hier hört man die tadellos funktionierende hohe Baritonstimme des 23-Jährigen, dessen Interpretationen sich damals in perfekter Ausgewogenheit von Verstand und Gefühl entfalteten. Wie bald schon ging diese Balance verloren! Spätestens Anfang der 70er Jahre wurde auch für das breitere Publikum hörbar, dass Fischer-Dieskaus Material dem aberwitzig breiten Repertoire-Spektrum, das er sich abforderte, nicht mehr standzuhalten vermochte. Es begann ein unaufhaltsamer Abstieg, kompensiert durch das intellektualistische Ausweichen auf eine mehr und mehr vom Text generierte Darbietung. Die CDs der vorliegenden Box sind der Endpunkt des Weges: Es wäre fast verfehlt, hier noch von Manierismus oder verkopfter Herangehensweise zu sprechen. Der Hörer wird vielmehr Zeuge eines aussichtslosen Kampfes gegen die Vergänglichkeit.
Michael Wersin, 26.02.2005
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