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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Georges Aperghis

14 Récitations

Donatienne Michel-Dansac

col legno/Harmonia Mundi 20270
(43 Min., 11/2001) 1 CD

1976 hat der griechische Wahlfranzose Georges Aperghis in Paris sein "Atelier Théâtre et Musique" gegründet. Und schon das Namenskürzel ATEM sagt einiges über die Ton-Sinn-Kombinationen des eifrigen Experimentators und Textdekonstruktivisten Aperghis aus. Sein menschliches Lautäußerungssystem verwandelt ganze Textkörper in eine Klangfarbenphysiognomie, bei der die Interpreten hörbar bis an ihre Grenzen gehen müssen, um ihr ganzes Innere freizulegen. Da wird geflüstert und gestottert, gestammelt und gehechelt, aus- und eingeatmet, verwandelt sich der menschliche Schlund in einen surrealen Seismografen, dem keine noch so beklemmende Leidensgeschichte entgeht. Aberwitzig virtuos und von verstörend bis höchst amüsant geht es besonders in Aperghis’ 14 vokalen Versuchsanordnungen zu, die er 1977/78 komponierte und die schon so etwas wie ein Klassiker der neuen Solovokalliteratur sind. Erstaunlicherweise lag aber von den "14 Récitations" bislang noch keine Gesamteinspielung vor, bot selbst die bislang als Referenz geltende Einspielung der "Récitations"-Muse Martine Viard nur einen ausschnitthaften Einblick in diesen abenteuerlichen Zyklus.       Mit dem Livemitschnitt vom "Wien Modern"-Festival 2001 sind diese Lücken jetzt immerhin geschlossen. Und mit Donatienne Michel-Dansac jonglierte an jenem Konzertabend eine der versiertesten Vertreterinnen aus der Aperghisfactory mit diesen elementaren Sprachbausteinen, dass einem glatt die Spucke wegbleibt. Die auf einen Schleuderparcours geschickten rhythmischen Zellen geht sie im Hochgeschwindigkeitstempo an, die lautpoetischen Studien entwickeln sich zu akrobatischen Trapezakten ohne Netz und doppelten Boden. Merkwürdigerweise aber koppelt Michel-Dansac den technischen Vollzug von den situativen Ausnahmezuständen ab, die in jeder Récitation stecken. Statt wie noch unlängst Salome Kammer aus dem Geschwätz der Récitation 11 mit grellem Lachen und hysterisch spitzen Glossolalien eine Figur aus Molières "Les Précieuses ridicules" zu entwickeln, verblüffen nunmehr lediglich die phänomenal inszenierten Sprachentstellungen. Und auch aus der letzten Récitation als ein unter die Haut gehendes, weil existenzielles Wortklangdrama machte Michel-Dansac in 30 Sekunden eine Sprintfassung. Bei Martine Viard litt man dagegen gnadenlos mit – als sie nach knapp zwei Minuten an ihrem einzigen Atemzug zu ersticken drohte.

Guido Fischer, 01.09.2007


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