Kritiker bekommen ein Kribbeln in den Fingern, wenn sie das Gehörte nicht gleich einordnen können: Schließlich darf der Leser verlangen zu erfahren, was er denn geboten bekommt, wenn er Geld für eine CD ausgibt. Bei Keith Jarretts “La Scala” - einem Konzertmitschnitt aus Mailands gleichnamigem Opernhaus - ist das aber gar nicht so einfach.
Jazz ist es nicht, denn wo bleibt der Groove? “Improvisierte Musik” (also nach Legitimität strebender Free-Jazz-Nachwuchs) ist es auch nicht, denn dafür klingt es viel zu schön (von Jarretts Gesangsstöhnerei abgesehen). Da setzt sich also einfach jemand ans Klavier und fängt an zu spielen. Und anders als bei den Klavierimprovisationen Mozarts, der sie hinterher aufschreiben musste, um sie der Nachwelt zu überliefern (weswegen sie heute “Variationen” heißen), gibt es heute digitale Klangmedien, die noch den kleinsten Gedankenfitzel aufbewahren. Aber dieser Aufnahme wird nur gerecht werden, wer erst einmal gar nichts erwartet. Wer aber Jarretts Klavierkosmos zu Hause die gleiche Ehrfurcht erweist, die er auch im Konzertsaal mitbringen würde, kann sich von vielen kleinen funkelnden Ideen, einem sinnlichen Klavierton und den Verlockungen der Fantasie überreden lassen. “Ja, aber die Form”, ruft der Kritiker. Die stellt sich erst im Kopf des Hörers ein.
Stefan Heßbrüggen, 28.02.1997
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