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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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The Freelance Years (The Complete Riverside & Contemporary Recordings)

Sonny Rollins

Riverside/ZYX 0 90204 87232 9
(1956 - 1958) 5 CDs

Am 9. September wird Sonny Rollins siebzig Jahre alt. Das Schallplattenwerk des einflussreichsten lebenden Tenoristen gehört zum zeitlos Gültigen der Jazzgeschichte. Die Aufnahmen zwischen Oktober 1956 (im Beiheft fälschlich Dezember 1956) und Oktober 1958 haben eine Sonderstellung als Dokumente eines, wenn nicht des schöpferischen Höhepunkts eines Genies. In jenen Tagen war Rollins der vom Nachwuchs am meisten bewunderte und imitierte Saxofonist.
Da Rollins zuvor fest bei der Firma Prestige unter Vertrag gewesen war, sich danach aber für einige Jahre in innerer Einkehr dem Konzertleben und den Plattenstudios verschloss, wurde diese fruchtbare Schaffensperiode von den Herausgebern passenderweise "Freelance Years" getauft. Diese jedem Jazzfreund eindringlichst ans Herz gelegte Edition vereint alle für Riverside, Contemporary und Period eingespielten Alben der beiden Jahre, an denen Rollins als Leader oder Sideman beteiligt war.
Die chronologisch angeordnete Edition hebt mit Thelonious Monks "Brilliant Corners" an, eine Platte, der man die Schwierigkeiten mit dem Material bei der Aufnahmesitzung kaum anmerkt. Zum Meilenstein geriet das von vielen als bedeutendstes Rollins-Album gerühmte "Way Out West". Rollins spielte es mit unübertrefflicher Verve und Virtuosität mit dem Bassisten Ray Brown und dem Schlagzeuger Shelly Manne. Diese pianolose Trio-Besetzung, die gewaltige Anforderungen stellt, aber auch große Freiheiten gewährt, wurde wegweisend für zahlreiche seiner späteren Einspielung und zahlreiche spätere Saxofonisten.
Auf Kenny Dorhams "Jazz Contrasts", vor allem aber auf "The Sound Of Sonny" erleben wir Rollins als größten Hardbop-Tenoristen jener Tage: Sein exzellentes, unbegleitetes Solo "It Could Happen To You" war so etwas wie das Ei des Kolumbus. Was könnte für einen Musiker, der zu Hause ja meist alleine spielt, näher liegend sein, als so ein Solo zu veröffentlichen? Aber erst durch Rollins wurde dies Usus.
Auf die mit machtvollem und erdigem Klang zum Swingen gebrachten Stücke von "Sonny Rollins Plays" folgte die epochale "Freedom Suite". Die Möglichkeiten der pianolosen Trio-Besetzung wurden – diesmal mit Oscar Pettiford und Max Roach – auch strukturell weiter ausgelotet. Zugleich handelt es sich um das sozialkritische Dokument eines Musikers, der trotz seiner Berühmtheit in den "besseren" Vierteln New Yorks auf Grund seiner Hautfarbe keine Wohnung bekommen konnte. Damit bereitete Rollins ähnlich engagierten Werken aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung wie "Freedom Now" von Max Roach und Abbey Lincoln den Weg.
Ein merkwürdig unterschätztes Album bildet den Abschluss: "Sonny Rollins and The Contemporary Leaders". Der Titel rührt daher, dass jeder der anderen Musiker - Barney Kessel, Hampton Hawes, Victor Feldman, Leroy Vinnegar und Shelly Manne - für die Marke Contemporary Alben als Leader eingespielt hatte. Obwohl die Musiker scheinbar zu einer anderen musikalischen Welt gehörten – damals unterschied man fein säuberlich den East Coast Jazz vom manchmal nur vermeintlich weniger boppigen West Coast Jazz – erscheinen sie als kompatible, ja ebenbürtige Partner. Durch ihre Mitwirkung entstand ein entspannt und ungehemmt swingendes Album. Warum Rollins danach seinem Spiel so kritisch gegenüberstand, dass er sich bald aus dem Musikleben zurückzog, um jahrelang einsam auf der Williamsburg-Brücke zu üben, kann eher ein Psychologe als ein Kritiker beantworten.
Rollins' Vorrangstellung unter den Tenoristen jener Jahre kann kaum besser dokumentiert werden als mit dieser Box. Man hat in Rollins keinen Neuerer sehen wollen, da er - im Gegensatz etwa zu Parker oder Coltrane - keinen eigenständigen Stil in den Jazz eingebracht habe. Rollins' Grundlage war ein Stilgemisch aus Parker, Hawkins, Young, Gordon – Einflüsse wie sie so ziemlich jeder Hardbop-Tenorist aufwies. Doch bei Rollins, der sich in seinem Spiel genial über Konventionen hinwegsetzte, wurde diese Mixtur ungeheuer explosiv. Rollins konnte sich auf damals wohl erschreckend wirkende Weise vom Tempo der Rhythmusgruppe absetzen, um sich mit ganz unerwarteten Wendungen wieder einzuklinken.
Schon gar nicht war Rollins, was gern behauptet wird, ein Konservativer, der vom progressiven Coltrane "abgelöst" wurde. Rollins souverän freier Umgang mit dem Material ebnete dem Free Jazz den Weg. Zur Zeit ihrer Erstveröffentlichung wurden diese Platten denn auch heftig diskutiert, in einigen namhaften Fachblättern sogar als Scharlatanerie eines Musikanten abqualifiziert, der ins Saxofon "rülpst", "hupt" und "quäkt". Heute erscheinen sie als Quintessenz modernen Saxofonspiels schlechthin. Bessere Platten als in den "freelance years" hat Rollins nie wieder eingespielt, nur eben anders.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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