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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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The Complete RCA Victor Recordings

Sonny Rollins

RCA Victor/BMG 74321332792
(1962 - 1964) 7 CDs

Mit seinen Prestige-, Riverside- und Blue-Note-Aufnahmen hatte sich Sonny Rollins den Ruf des bedeutendsten Tenoristen der späten fünfziger Jahre erspielt. Als Gefährte von Clifford Brown, Miles Davis und Max Roach galt er als der Hardbop-Tenorist schlechthin, wiewohl seine Neuerungen, etwa in der „Freedom Suite“, schon weit darüber hinausgingen.
Rollins’ Stil könnte man als einen Impulsivmix aus allen zuvor stilbildenden Saxofonisten (Hawkins, Young, Gordon und Parker) beschreiben und seiner Originalität doch nicht gerecht werden, denn so ziemlich alle Hardbop-Tenoristen, selbst Coltrane zunächst, mischten diese vier Asse auf ihre Art neu. Ihre persönliche Note lag im Mischungsverhältnis und dem ins Spiel gebrachten Joker, dem Einfluss eines anderen erfolgreichen Mischers (etwa Sonny Stitt oder eben Rollins).
Rollins’ Mischung wurde unglaublich explosiv, da er sich über musikalische Konventionen hinwegsetzte. Er konnte sich auf aufregende Weise vom Tempo der Rhythmusgruppe absetzen, um sich mit ganz unerwarteten Wendungen wieder einzuklinken. Typisch waren auch kurz hervorgestoßene rhythmische Figuren in seinen abenteuerlichen Chorussen. Sein souverän freier, oft sarkastischer Umgang mit dem Material blieb auch nicht ohne Folgen für den Free-Jazz. Doch als der entstand, 1959 bis 1961, verschwand „Newk“, so Rollins’ Spitzname, von der „Klangfläche“, um täglich auf der Williamsburgh-Brücke über dem New Yorker East River zu üben, Coltrane Platz zu machen und Rosenkreuzer zu werden.
Mit den RCA-Aufnahmen, nun in dieser Sieben-CD-Kassette vereint, beginnt die Geschichte seines Comebacks. Das Album „The Bridge“ wurde 1962 in Anbetracht der veränderten musikalischen Landschaft mit überzogenen Erwartungen begrüßt und entsprechend unterbewertet. Rollins hatte seine Stilmittel kaum verändert, aber, wie ab der Mitte der Box zunehmend deutlich wird, radikalisiert. „What’s New“ sollte eine Begegnung mit der Bossa Nova werden, stellt aber in Rollins’ Calypso-Verliebtheit eine Erkundung eigener ethnischer Wurzeln dar; die zweite RCA-Platte war also nur scheinbar ein Zugeständnis an den Zeitgeist.
Die dritte war eine Annäherung an die harmonisch noch freieren Avantgarde-Younsters: „Our Man“ zeigt ihn an der Seite Don Cherrys und Billy Higgins’ in colemanesken Sphären. Hatte Rollins von Lester Young den Umgang mit dem Rubato gelernt, so war in vielem Coleman Hawkins sein Urbild. Wie „Hawk“ hatte „Newk“ einen machtvollen Sound: muskulös, kräftig, manchmal geradezu rauh und roh, dann wieder in Balladen von berückender Wärme. Das Gipfeltreffen „Sonny Meets Hawk“ ist kein Match, sondern eine bewegende Aussprache zwischen Enkel und Großvater, die sich in ihrer zupackenden Dramatik und expressiven Dringlichkeit viel näher stehen, als manche dazwischenliegende Generation.
Ob wir es wirklich mit Rollins’ kompletten RCA-Aufnahmen zu tun haben, wie versprochen wird, lassen die letzten drei CDs bezweifeln. Die Box enthält zwar alles, was bislang auf LP oder CD auch schon erschienen war, doch Sjøgren erwähnt in seiner Diskografie ein Dutzend weiterer Aufnahmen aus den 64er-Sessions zu den LPs „Now’s The Time“ und „The Standard Sonny Rollins“. Schade, denn die der Box beigefügten Alternate Takes belegen, dass Rollins gerade auf den unter Verschluss gehaltenen Nummern Standards mit besonders abenteuerlichem Ingrimm und experimentellem Ehrgeiz auslotet hat.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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