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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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40 Years Of MJQ

The Modern Jazz Quartet

TDK Mediactive DV-JMJQ40
(60 Min., 1992) 1 DVD, Dolby digital, DTS, PCM-Stereo; PAL 4:3

Als das Modern Jazz Quartet 1992 zur Feier seines vierzigjährigen Bestehens mit dem von Patrick Strub geleiteten Kammerorchester „Arcata“ bei den "Jazzopen" Stuttgart auftrat, konnte John Lewis schon zahlreiche ähnliche Erfahrungen vorweisen. Eine Pionierleistung dieser Art aus dem Jahre 1958 ist sogar mit Stuttgart verbunden: John Lewis' mit Mitgliedern der Stuttgarter Sinfoniker eingespieltes Third-Stream-Album „European Windows“.
Der nun auf DVD vorliegende Fernsehmitschnitt ähnelt freilich mehr dem Atlantic-Album „Three Windows“, das vom Modern Jazz Quartet 1987 mit „The New York Chamber Symphony“ eingespielt wurde – ein sorgfältiger produziertes Album, das noch mit dem langjährigen MJQ-Drummer Connie Kay aufwartet, der aus Krankheitsgründen hier bereits durch Mickey Roker ersetzt werden musste.
Hört man die DVD vom Bild unabgelenkt, werden die Mängel offenbar: Vermutlich aus Probenmangel ist die Koordination zwischen dem Quartett und den klassischen Musikern bisweilen alles andere als perfekt. Unsicherheiten bei gemeinsamen Einsätzen, rhythmisch diffizilen Passagen, Tempowechseln usw. sind nicht zu überhören. Selbst die sonst untadeligen Musiker des MJQ sind offensichtlich von der Präsenz der Klassiker so irritiert, dass sie bisweilen „wackeln“. Selbst Milt Jackson, spielt – ich hielt das bei ihm für unmöglich – einen falschen Ton. Dennoch kommt es immer wieder zu solistischen Höhenflügen von John Lewis und Milt Jackson.
Ein Blick auf das Bild erhellt den akustischen Befund: Percy Heath und Mickey Roker sitzen mit dem Rücken zum Orchester und können es nicht sehen. Milt Jackson und John Lewis können von ihrem Blickwinkel aus die Klassiker nur am Rande wahrnehmen und blicken in der Regel mehr auf die Partituren, ihre Instrumente oder auf die Mitjazzer als auf den Dirigenten. Hätte John Lewis das Orchester vom Klavier aus geleitet wie sein Idol Bach einst vom Cembalo, es hätte nicht nur zur neobarocken Stimmung seiner Kompositionen gepasst, sondern regulierend gewirkt.
Warum man diese DVD trotzdem sehen sollte: Für jeden, der nicht Gelegenheit hatte, das MJQ live zu sehen, ist sie (so lange es keine bessere gibt) durchaus sehenswert. Diese Combo setzte nämlich mit der Eleganz ihrer Kleidung und ihrem bewusst ernsthaften Auftreten Maßstäbe für Bühnenpräsenz. Die vier trugen Anstand und Würde zur Schau, so sehr sogar, dass es sie manchmal daran hinderte, nach Jazzer Art ganz aus sich heraus zu gehen. Damit öffneten sie aber die „besten Adressen“ dem Jazz und gewannen ihm Klassik-Freunde, denen Lewis mit seiner Vorliebe für Fugen und anderen klassischen Formen entgegenkam.
Doch nicht aus Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem Jazz legte Lewis so viel Wert auf Formen und Attribute der klassischen Musik. Er handelte und musizierte aus der Überzeugung, dass Jazz genau den gleichen Wert hat, und damit verbunden, die gleiche gesellschaftliche Achtung, die gleichen Konzerthallen, das gleiche aufmerksame Publikum verdient, wie die klassische Musik. So gegensätzliche Musiker wie John Lewis und Milt Jackson am Werk zu sehen, ist ebenfalls interessant. War Milt Jackson ein instinktiv spielender Vollblutmusikant (man hört es nur, sieht es nicht) mit einer ausladenden, sprudelnden Spielweise, so war John Lewis ein ruhig und sparsam spielender Pianist mit der Aura eines Gelehrten. Man hört ihn nicht nur bremsen, man sieht, dass er sich die Töne geradezu abringen muss. Zur Zeit dieser Fernsehaufzeichnung war dieser Kontrast mittlerweile so stark, dass Lewis zu schleppen bzw. Jackson zu hetzen schien. Der gemeinsame Nenner drohte zu verschwinden.
Warum man diese DVD vielleicht doch nicht sehen sollte: Es hat durchaus etwas Frustrierendes, Jazzmusikern ins Gesicht zu blicken, die bei ihrer Arbeit ein so ernstes Gesicht machen wie bei einem Trauermarsch. Einzig der heute noch aktive Percy Heath hat manchmal etwas von einem freudestrahlenden alten Weisen. (Die Klassiker lächeln immerhin beim letzten Stück. Vielleicht aus Freude, es bald überstanden zu haben?) Es ist mehr als das übliche „pokerface“ im Ringen der Jazzer um Anerkennung als seriöse Künstler. Offensichtlich waren Jackson und Lewis schon damals nicht mehr bei bester Gesundheit. Jackson hat sogar dort, wo er beglückendend und heiter spielt, einen unglücklichen Gesichtsausdruck. Lewis sieht und hört man eher bei den Moderationen an, dass er leidend ist. Zumindest mich macht das Wiedersehen mit den beiden unlängst verstorbenen Meistern wehmütig.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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