Auf der Hülle sehen wir das Gesicht eines britischen Gentleman, der nur nebenbei als Jazzer bekannt war, und lesen Titel wie „Air in D-Flat“ und „Donegal Cradle Song“. Da pflegen wir skeptische Assoziationen mit Purcell, Ossian und irischem Frühling – und sind nicht vorbereitet auf solch eine Überraschung. Welch großartiges Talent hat der Jazz verloren! Nach diesen Aufnahmen der Jahre 1930-33 lebte Spike Hughes noch über ein halbes Jahrhundert – „aber ich habe den Jazz in dem Augenblick hinter mir gelassen, in dem er mir am meisten Freude bereitete. In dem Augenblick, in dem alle echten Liebesbeziehungen enden sollten.“ Warum hat ihm keiner diesen Unsinn ausgeredet!
Obwohl Hughes’ Kompositionen ihn als Schüler Ellingtons ausweisen (dessen Vorkämpfer er war), sind seine verträumt-verhangenen Weisen („Weary Traveler“) und seine kultiviert-verspielten Tongemälde („Doan’ You Grieve“) atmosphärisch so prägnant, dass man sie auch aus der Distanz als originell wahrnimmt, ja dass sie berühren („Elegy“). Wie genau der Bassist und Kritiker den Geist des Harlem Jazz erfasst hat, zeigen seine britischen Aufnahmen der Jahre 1931 und 1932; noch bevor er nach New York kommt, schreibt er eine „Harlem Symphony“.
Die Briten (darunter der englische „Hawkins“, der Tenorist Buddy Featherstonehaugh) swingen für europäische Verhältnisse außerordentlich. Die 33er Aufnahmen aus New York sind auf Höchstniveau, da sie in genialer Kombination Ellington-Flair mit den besten Elementen von Dukes Konkurrenz verbinden.
Hughes übernimmt für die Aufnahmen Benny Carter und sein Orchester, dem unter anderen der Tenorist Chu Berry und Wayman Carver (der damals schon Flötensoli bläst!) angehören. Dieser bereits erstklassigen Band fügt er Coleman Hawkins, Red Allen und Dickie Wells – also Hendersons Starsolisten – hinzu und als Pianisten einen weiteren Bandleader, Luis Russell!
Mit den britischen und amerikanischen Aufnahmen rekonstruierten die Herausgeber der CD die Musik zum Frederick-Ashton/ Buddy-Bradley-Ballett „High Yellow“. Auf einer Zugabe des Jahres 1930 klingt ein ungenannter Geiger wie ein Double von Joe Venuti. Offensichtlich studierten im Europa jener Tage Briten die amerikanischen Schellacks besonders präzise.
Marcus A. Woelfle, 31.05.1996
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