Channel Classics/harmonia mundi CCS SA 22005
(111 Min., 3/2004) 2 CDs
Die Quellenlage zu Bachs Johannespassion ist höchst kompliziert: Es hat vier verschiedene Fassungen des Stücks gegeben, deren Aufführungsmaterial in sehr unterschiedlichem Umfang bzw. im Falle der dritten Version gar nicht überliefert wurde. Gespielt wird gewöhnlich die vierte und letzte Fassung, und auch die zweite (1725), für die Bach u. a. einige Arien austauschte, rückte gelegentlich ins Blickfeld (u. a. Philippe Herreweghe machte eine Aufnahme davon). Jos van Veldhoven hat nun für die vorliegende Einspielung die erste Fassung von 1724 zu rekonstruieren versucht, wobei er sich vor allem auf einige Stimmen-Doubletten des originalen Aufführungsmaterials zu stützen hatte. Es entstand eine Johannespassion mit etwas anderem Klangbild (es fehlen die beiden Traversflöten) und verschiedenen Varianten im Detail, die dem Kenner des Stücks sicher auffallen werden. Wenn auch van Veldhovens im Beiheft dargelegte Argumentation hinsichtlich seiner Rekonstruktionsarbeit nicht immer vollständig nachvollziehbar ist (warum etwa eine einfache Streicherbesetzung, wenn Doubletten der Streicherstimmen überliefert sind?), so entstand doch eine insgesamt sehr ansprechende Version des Stückes, zu der auch die "Besetzungspolitik" beiträgt: Van Veldhoven entschied sich für einen Chor, der lediglich aus dem Solistenquartett und je einem Ripienisten pro Stimme besteht; das so entstehende, betörend schöne, sehr durchsichtige, aber niemals dünne Klangbild, das zudem geprägt ist von der ausgezeichneten Homogenität des Ensembles und der hervorragenden Durchgestaltung der einzelnen Sätze, überzeugt vollkommen. Im solistischen Einsatz beglücken dieselben Sänger nicht ausnahmslos: Hervorzuheben ist die brillante Leistung von Gerd Türk als Evangelist; u. a. der Altist Peter de Groot hingegen bewegt sich nicht ganz auf dem Niveau, das Kollegen in Vergleichsaufnahmen anzubieten haben. Beeindruckend wiederum die Stringenz im Wechselspiel zwischen rezitativischem Evangelienbericht, Turbae und Arien: Hier gelingt es van Veldhoven, das atemberaubend neuartige dramatische Konzept, das Bach offenbar im Kopf hatte, unmittelbar zum Erlebnis zu machen. Hingewiesen sei schließlich auf die opulente Ausstattung des Beiheftes mit mehreren fundierten Artikeln und zahlreichen farbigen Reproduktionen von Gemälden aus dem Museum Catharijneconvent.
Michael Wersin, 04.06.2005
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