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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Richard Wagner

Der fliegende Holländer

Jane Eaglen, Falk Struckmann, Peter Seiffert, Robert Holl u.a., Chor der Staatsoper Berlin, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim

Teldec Classics 8573 88063 2
(135 Min., 2001) 2 CDs

Meines Wissens hat seine Gattin (wie auch sein Neufundländer) am 29. Juli 1839 nichts Wesentliches zur Rettung des hochverschuldeten, illegal von Riga nach London fliehenden, an Norwegens Küste im Sturm fast gestrandeten sechsundzwanzigjährigen Wagner beigetragen. Gleichwohl fand er kurz nach der Seenotrettung sein persönliches und künstlerisches Lebensthema: den Liebestod (natürlich des Weibes) als Bedingung der Erlösung (natürlich des Mannes).
Grundlage dafür bot ihm die Sage vom verdammten, ewig über die Meere schippernden Holländer, der alle sieben Jahre an Land gehen darf, um eine Braut zu suchen, die mit ihrem eigenen Tod den erlösenden seinigen herbeiführt. Schon Anfang der dreißiger Jahre lernte Wagner die schaurig-schöne Gruselstory vermutlich aus Heines "Memoiren des Herren von Schnabelewski" kennen. Allerdings hatte er nichts mit dessen Ironie im Sinn ("Armer Holländer! Er ist oft froh genug von der Ehe selbst wieder erlöst und seine Erlöserin los zu werden, und er begibt sich dann wieder an Bord"); um so aufwühlender im wörtlichen Sinn gestaltete Wagner das innere wie äußere Drama des tosenden Meeres und der pfeifenden Winde, die der ganzen Partitur einen durchgehenden gespenstisch-dräuenden Sog verleihen.
Von diesem ist beim neuen Holländer, mit dem Daniel Barenboim seine Berliner und Bayreuther Wagner-Einspielungen vervollständigt, nur wenig zu spüren (man vergleiche etwa Soltis nervös-drängende Sicht). Was mir bei Barenboims "Lohengrin" (siehe Rezension) und "Walküre" (siehe Rezension) höchst willkommen war, das ist mir hier, jedenfalls in diesem Ausmaß, ein Manko: die allzu tiefschürfend-psychologische Schau der Protagonisten und des Erlösungs-Themas. Sie verführt allzu häufig zu statischem Innehalten. Zu oft reckt Barenboim den Zeigefinger: hört her, jetzt kommt eine eminent bedeutungsschwere Stelle, und die wird dann (etwa in der Senta-Ballade) mit kräftigem Rubato und Knalleffekt quasi doppelt unterstrichen.
Zwar ist nichts gegen die fulminanten Ausbrüche einzuwenden (das Sinfonische hat Barenboim mit der großen Klemperer-Aufnahme gemein), aber sie bleiben punktuell, ohne den Hörer in den dramatischen Handlungssog hineinzuziehen. Das psychologische - soll man besser sagen: psychologisierende? - Innehalten fördert allerdings auch Positives zutage: man kann erstaunliche Partitur-Details hören, die sonst allzuoft im allgemeinen Meereswogen untergehen, und: die Staatskapelle zeigt sich wieder einmal mit einer wunderbar sonoren dunklen Klangfarbe.
So ambivalent Barenboims Dirigat, so zweischneidig sind die Leistungen der Solisten. Falk Struckmann gibt einen keinesfalls verzweifelten, sondern selbstbewussten Titelhelden, der sein Schicksal mit herrischer Attitüde erträgt. Stimmlich kann er sich auch im Orchesterforte durchsetzen. Gerade das lässt sich von Jane Eaglens Senta nicht vermelden. Sie meistert zwar die Höhen ihrer großen Ballade (in der a-Moll-Urfassung), bleibt in den unteren Registern aber erstaunlich schwach (und damit weit entfernt von der legendären Anja Silja). Begeisterung ruft erneut Peter Seiffert hervor, dessen Erik tenoral prachtvoll wie darstellerisch glaubwürdig ist. Robert Holls Daland wiederum wünscht man bei aller gutväterlichen Verkupplungsmanier weniger Vibrato. Fulminant trumpft der Staatsopernchor auf, wobei bezeichnenderweise er es ist, der in den Massenszenen mit Verve vorwärtsdrängt, während Barenboims Orchester bremst.

Christoph Braun, 01.09.2007


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