TDK/Naxos DVWW-OPPIQUE
(178 Min., 5/2005) 2 DVDs
Der junge Offizier Hermann hat es an sich schon schwer, denn es läuft privat nun wirklich nicht. Er ist an seiner Spielsucht gescheitert. Aber weil er eben nicht von ihr loskommt, wird er sich schließlich gegen die heißumkämpfte Lisa und für die letzte, todbringende Kartenrunde entscheiden. Hermann ist jedoch mit seinen Abgründen nicht allein. Er ist nur der Anführer einer Gesellschaft, der der Boden unter den Füssen gezogen wurde, die an der Wirklichkeit zerbröseln wird. Und was macht man mit solchen von Identitätskrisen geschüttelten Patienten? Man sperrt sie weg und steckt sie in die psychiatrische Abteilung. In seiner Inszenierung von Tschaikowskis "Pique Dame" an der Pariser Nationaloper verzichtete Regisseur Lev Dodin aber glücklicherweise auf die standardisierten Regie-Theater-Requisiten à la Zwangsjacke. Vielmehr ließ Dodin sich von David Borovsky einen schmucklosen, von Erinnerungen leergefegten Anstaltsklinikraum bauen, der trotz seiner Kathedralengröße die beklemmende Atmosphäre einer Gruft besitzt. Und mittendrin steht Hermanns Klapperbett, von dem aus er wie in einem bösen Traum noch einmal die ehemaligen Gefährten aufmarschieren sieht.
Eigentlich basiert Tschaikowskis Oper auf der gleichnamigen Erzählung Puschkins. Dodin macht aus ihr aber jetzt ein Psychodrama, das aus der Feder Dostojewskijs stammen könnte. Für schwache Nerven ist der Livemitschnitt daher nicht unbedingt. Zumal auch Tenor Vladimir Galouzine als Hermann neben allem Glanz bis in die hohen Lagen die entsprechende gestalterische Intelligenz besitzt, um das rasende Herzklopfen und heftige Pochen unter der Schädeldecke zu signalisieren. Und das über knapp drei Stunden. Gleichfalls in vokaler Bestform zeigt die sich mit strömender Kantabilität nicht zurückhaltende Sorpanistin Hasmik Papian (Lisa): Allein ihr sanftes Duett mit Polina zu Beginn des zweiten Bildes ist an beschwörender Reinheit kaum zu überbieten. So hoch die Messlatte auf der Bühne gelegt wurde, so sorgte der russische Altmeister Gennadi Roschdestwenski für eine hochgespannte Espressivo-Glut und Detailintensität – mit der dieses erschütternde Schicksalstreiben jede Form von Sentimentalität verlor.
Guido Fischer, 14.12.2007
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