Kein & Aber Records/EFA 20586-2
(1923 - 1999) 4 CDs
Jazzquerschnitte gibt es viele, sowohl hochgelehrte Anthologien als auch sinnentleerte Billigsammelalben. Ein ebenso amüsantes wie originelles Kompendium wie dieser erste Roman-Soundtrack der Literaturgeschichte war aber noch nie zu haben. Und nur selten hat ein Autor so viel Herzblut in ein CD-Begleitbuch gesteckt.
Da dokumentiert der Münchner Schriftsteller Joseph von Westphalen den musikalischen Kosmos seines Romanhelden Harry von Duckwitz mit Meisterwerken des Jazz - vom New Orleans Jazz bis zum frühen Bebop - und kommentiert jede einzelne davon in einem fast zweihundertseitigen, reich illustrierten Buch mit (teils noch unveröffentlichten) Romanpassagen. Obwohl es sich dabei „nur“ um die Musik handelt, die Duckwitz im Verlauf der Romantrilogie hört, ist das Werk zugleich ein Überblick über die Jazzgeschichte von 1923 bis 1949, zusammengestellt (nach dem erlesenen Geschmack des liebessüchtigen Ex-Diplomaten Duckwitz) unter dem Gesichtspunkt der erotischen Verwendbarkeit.
Da sich Duckwitzens Geschmack chronologisch entwickelt, hat die Zusammenstellung bei aller Verspieltheit einen gewissen Lehrwert - und dies sogar für ausgebuffte Jazz-Fans! Denn Westphalen bietet uns nicht nur Evergreens von Armstrong und Ellington, sondern wartet mit Nevergreens längst vergessener Blues- und Jazzgrößen wie Richard M. Jones, Julia Lee, James Kok oder Trixie Smith auf, die es zu entdecken lohnt.
Auf der vierten CD gibt es vom Autor ohne falsche Feierlichkeit gelesene Kostproben mit Musik, die selbst dort den Vortritt hat. Man muss weder ein Don Juan noch ein Jazz- oder Literatur-Kenner sein (und auch nicht wie ich eine unmaßgebliche Aufnahme beigesteuert haben), um von diesem Jazz-Erotikon angetan zu sein, denn Westphalen ist besessen von der Vorstellung, dass die Kompilation selbst Jazz-Hasser und Liebhaber der neuen Töne, „die den alten Jazz für pures Geschrammel halten“, erreichen muss. Es scheint, die Quadratur des Kreises dürfte ihm mit dieser preisgünstigen Box gelungen zu sein. Auch wer sie sich nur kauft, um Frauen zu verführen, wird wohl bald selbst verführt werden - zum Jazz.
Marcus A. Woelfle, 30.04.1999
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