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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Johann Sebastian Bach

Johannes-Passion, 27 Kantaten, Orgelwerke BWV 565, 540, 545

Agnes Giebel, Marga Höffgen, Ernst Haefliger, Franz Kelch, Hans-Olaf Hudemann u.a., Gewandhausorchester, Thomanerchor Leipzig

Leipzig Classics/Edel 001800 2BC
12 CDs

Es wäre IHM ja doch wohl unbegreiflich geblieben, wenn sich ausgerechnet die eigenen Zöglinge in seinem Jubiläumstodesjahr nicht auch per CD-Edition zu Wort gemeldet hätten. Spät, aber immerhin besinnt sich Leipzig Classics seines genius loci und springt mit vier Lieferungen aus der heimischen Werkstatt mit den Thomanern sowie dem Gewandhausorchester auf den großen Bach-Wagen auf. Während vielen heutigen Bachianern die Interpreten-Riege um den Thomaskantor Erhard Mauersberger mitsamt ihren Solistenstars Peter Schreier, Adele Stolte, Annelies Burmeister und Theo Adam noch vom eigenen (Radio-)Hören geläufig sein dürfte, ist Günther Ramin wohl nur noch den älteren Semestern bekannt.
Umso wertvoller dieses Dokument seiner maßstabsetzenden Bach-Exegese aus den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren, die den Organisten, Chorleiter und Thomaskantor weit über die Grenzen des gerade zerbombten Nazi- und soeben aufstehenden Ostblock-Deutschlands berühmt gemacht haben.
Die Jünger des heute vorherrschenden Bach-Bildes à la Gardiner oder Riffkin werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen über eine derart "deutsch"-romantisierende Bach-Sicht, die den Notentext nicht eben wörtlich nimmt und in technisch-virtuoser Hinsicht keine Perfektion zu erkennen gibt. Sollen sie doch! Mir jedenfalls "sagt" diese Johannes-Passion weit mehr als viele der glattpolierten Schöngeistvorstellungen für unser spätbürgerliches Ästhetenempfinden, das gelangweilt über die Trillerausführung in Takt soundso räsonniert.
Zugegeben: Der Chorklang ist naturalistisch herb, mitunter auch derb; manche Ariendarbietung grenzt an Gefühlsduselei, und auch die Orchesterarbeit ist - vor allem in den Kantateneinspielungen - nicht immer ein Muster an Präzision. Aber das alles wird zweitrangig angesichts des überwältigenden Ausdruckswillens, der Ramin vom motorisch treibenden Anfangschor bis zum verklärt-kindlichen Schlusschoral umtreibt. Ramin versteht Bachs Notentext als musikalische Predigt, die weder religiöse Indoktrinierung noch belanglose Unterhaltung sein will, sondern emphatische Ansprache, ja Anklage, die innerlich aufrüttelt.
Ernst Haefligers Evangelisten-Verständnis steht dafür pars pro toto. Und die Thomaner legen sich ins Zeug, als ob sie um ihr Leben singen würden (immerhin geht es ja - für diesen Katholizismus bitte ich um Entschuldigung - um ihren Hausheiligen). Welche Sogkraft Günther Ramins Bach-Sicht hatte, zeigen nicht zuletzt Karl Richter und Diethard Hellmann, die es sich nicht nehmen ließen, bei einigen Kantatenproduktionen als Continuospieler mitzuwirken.

Christoph Braun, 01.09.2007


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