TDK/Naxos DVWW-OPDDC
(149 Min., 2/2004)
Religion und Politik werden immer dann zur gefährlichen Gemengelage, wenn der ideologische Überbau den Einzelnen wegstößt, um die fanatische Masse zu generieren. Beispiele dafür hat die Menschheitsgeschichte zuhauf geliefert – bis hin zu den aktuellsten Meldungen in der Frühstückszeitung. Als Fanal gegen diese unheilige Allianz kann man daher auch Francis Poulencs "Dialogues des Carmélites" (Die Gespräche der Karmeliterinnen) lesen und inszenieren. Stehen sich doch in der 1953 begonnenen und 1957 an der Mailänder Scala uraufgeführten Oper zwei Welten gegenüber, die sich auf den zweiten Blick gar nicht unähnlich sind. Hier ist es die hermetisch abgeschlossene Klostergemeinschaft, in die die Adlige Blanche flüchtet. Dort marschieren die französischen und blutverschmierten Revolutionstruppen auf. Alle sind sie Diener ihrer Sache – und verschwinden damit in der kollektiven Anonymität. Der kanadische Regisseur Robert Carsen fand dafür bei seiner Amsterdamer Inszenierung das erhellende Bild des Schemenhaften und der gespensterhaften Dunkelheit. Radikal minimalistisch und in riesigen leeren, aber enorm bedrückenden Räumen, verlieren die Karmeliterinnen in ihren Klosteruniformen ihre Identität, der gesichtslose Pöbel verkörpert erschreckende Gewalttätigkeit.
Zeigte Carsen somit einmal mehr mit solchen reduzierten Mitteln und gänzlicher Immunität gegen alle Regie-Theater-Zusätze, wie Oper den Nerv der Zeit treffen kann, wurde die Qualität der Produktion bei ihrer Wiederaufführung 2004 an der Mailänder Scala von den musikalischen Kräften bestätigt. Allen voran war es der mitreißend erregende Riccardo Muti, der nicht nur mit Blechbläsereinschlägen à la Verdi aufwartete. Aus der Poulenc’schen Partitur filterte er eine Klangfarbendrastik heraus, die auf Mussorgskys "Boris Godunow" und damit auf einen ähnlich gelagerten Konfliktstoff verwies. Und zum Sängerstar des Abends wurde in der Rolle der Blanche die Sopranistin Dagmar Schellenberger, die hier ihr Scaladebüt mit Sternchen bestand. Dass es dagegen Anja Silja als Priorin Madame de Croissy altersbedingt etwas an vokaler Straffheit und durchschlagender Glut fehlte, ist jedoch angesichts ihrer weiterhin vorhandenen stimmschauspielerischen Präsenz mehr als zu verschmerzen.
Guido Fischer, 31.08.2007
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