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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Als Katholik sind sie einem vertraut, als Ästhet zuwider oder Anlass zu Spott: Sujets von alternden, dahinsiechenden Christenmännern, deren sündige Verfehlung grausamst bestraft wird mit einer ewig triefenden Wunde, die nicht nur den reuigen Geist, sondern auch den realen Körper zermürbt, aber nicht sterben lässt. Seit jeher waren Vorstellungen von der Wundbrühe Jesu oder den Martern des durchbohrten hl. Sebastian manchem Gläubigen ein Quell der persönlichen Wollust.
Mir sagt da schon mehr Nietzsches und Max Webers Häme über derlei "unreines Gemisch von Sinnlichkeit und christlicher Symbolik" zu, das besonders Wagners pseudochristlich-schwül-erotischem "Parsifal" eigen ist. Was aber hätten beide Zeitgenossen wohl zu Pfitzners 1895 uraufgeführtem "Armen Heinrich" gesagt, vor allem zum Libretto, das James Grun, ein Frankfurter Studienkollege Pfitzners, nach Hartmann von Aues gleichnamiger Verslegende aus dem 12. Jahrhundert schuf? Was man bei Hartmann vielleicht noch unter dem Vorzeichen mittelalterlicher, also realer christlicher Glaubensmacht und Symbolik inhaltlich "verstehen" kann, das stößt einem heutzutage bei Grun doch auf, auch wenn es gut in seine Zeit, die vorletzte, Décadence-Jahrhundertwende passt.
      Die vierzehnjährige Jungfrau Agnes wartet, nackt auf einen Tisch gefesselt, inbrünstig darauf, dass ihr ein Mönch und Wundarzt das Herz aus dem Leib schneidet, auf dass ihr angebeteter Ritter Heinrich von seiner unheilbaren Krankheit geheilt werde und endlich sterben kann. Zwar ersparen einem Grun und Pfitzner das Gemetzel dieses Opfertodes (da Heinrich angesichts solcher Hingabe bewusst auf seine Rettung verzichtet und durch eben diesen Verzicht gerettet wird); aber was hier in bester männlicher "Liebestod"-Tradition über drei Akte hinweg seit E. T. A. Hoffmanns "Undine" und Wagners ständigem Frauensterben zu inszenieren ist, bleibt eine schwere Aufgabe für die Regie.
      Welche Lösung man vor drei Jahren in Dortmund fand, wo Pfitzners Erstling in einer szenischen Aufführung quasi wiederentdeckt wurde, muss den CD-Hörer nicht interessieren, dafür um so mehr die musikalische Seite. Da verblüfft zunächst die farbenfrohe, über weite Strecken kammermusikalisch ausdifferenzierte Musik, von der man gewöhnlich, wenn überhaupt, nur den Frühlingstraum-Monolog Heinrichs kennt, die bereits Jahre vor der Uraufführung fertig gestellte Keimzelle des Werkes aus dem ersten Akt. Wagner ist zwar allerorten präsent, gleichwohl bleibt Pfitzner nicht (nur) Epigone, sondern schafft in einer chromatisch und leitmotivisch höchst entwickelten Musiksprache ein innerlich wie äußerlich spannungsreiches Bühnengeschehen.
Das zu verlebendigen, gelang Alexander Rumpf und seinen Dortmunder Musikern aufs trefflichste. Aus dem Orchestergraben tönt ein schattierungsreich und flexibel agierender Klangkörper. Mit einem warmen und großartig aufblühenden Sopran präsentiert Michaela Kaune die jugendliche "Heldin". Ihre Mutter alias Sharon Markovich legt leider etwas viel tremolierendes Schwergewicht in die besorgte Mutter-Rolle. Die Dauerpein des zum Asketen mutierenden Titelhelden (und ehemaligen Lebemannes) vermittelt Norbert Schmittberg auf enervierende, höchst intensive Art, wobei sein kraftvoller, höhensicherer Tenor an beste Kollo-Taten erinnert. Imposant treten auch William Killmeier (als Heinrichs Getreuer) und Karl-Heinz Lehner (als mönchischer Arzt) in Erscheinung. Alles in allem: eine glückvolle, lohnende Dortmunder Wiederentdeckung, die wieder einmal im Opernkrieg zwischen Libretto und Musik die Musik haushoch siegen lässt.

Christoph Braun, 01.09.2007


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