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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Charles Ives

Streichquartette Nrn. 1 und 2, Largo Risoluto Nr. 1 und 2, Hallowe'en u. a.

Leipziger Streichquartett, Steffen Schleiermacher (Klavier), Yeon-Hee Kwak (Englischhorn)

MDG/Naxos 7 6023 11432 3
(65 Min., 2/2002) 1 CD

Charles Ives hat viele Gesichter: Es gibt den Experimentator Ives, den Lyriker, den Provokateur, den Spaßvogel und den Nostalgiker. Das Leipziger Streichquartett wird nicht allen Fassetten des Pioniers der amerikanischen Musik gleichermaßen gerecht. Angemessen rau und kompromisslos erklingen die beiden "Largo risoluto" betitelten Stücke, in denen Ives Techniken erprobt, die in der europäischen Avantgarde erst Jahrzehnte später zum Tragen kommen – die Stücke entstanden bereits 1906!
      Auch der letzte Satz des Zweiten Quartetts, eines der Hauptwerke von Ives, gelingt den Leipzigern recht gut, wenn sie auch auf dem Höhepunkt kurz vor Schluss mit intonatorischen Problemen zu kämpfen haben. Der grimmige Sarkasmus jedoch, mit dem Ives im zweiten Satz "Argumente" den konventionellen Streichquartett-Schönklang sowie die europäische Musiktradition auf die Schippe nimmt – irgendwann ist im Gewirr der Stimmen die Melodie von "Freude, schöner Götterfunken" zu vernehmen – scheint den Interpreten zu entgehen. Die Multiplizität des motivischen Gewebes ist wohl angemessen realisiert, doch wo bleibt die Grimasse?
      Eine andere, liebevollere Art von Humor findet sich im Ersten Quartett, in dem gelehrte Kontrapunktik sich mit bewusst sentimentaler – und garantiert nicht ganz ernst gemeinter! – Melodik paart. Die pseudo-idyllische Süffisanz etwa des Hauptthemas des zweiten Satzes wird vom Leipziger Streichquartett auf den bloßen Notentext reduziert. Keine Spur davon, dass Ives hier wie Mahler auf doppeltem Boden sich bewegt; stattdessen klingt die Musik wie Reger. In Anbetracht der Tatsache, dass es momentan kaum überzeugende Einspielungen der Werke gibt, ist die CD trotzdem zu empfehlen. Doch Welten trennen die allzu seriöse Interpretationsweise der Leipziger von der Referenz-Aufnahme des Concord-Quartetts (Nonesuch), die hoffentlich bald auf einer der verschiedenen Tief- und Mittelpreis-Reihen von Warner Classics erscheinen wird.
      Übrigens erklingt hier keineswegs, wie es das Cover stolz vermeldet, Ives' gesamte Musik für Streichquartett, Es fehlen das "Largo" für Quartett und Kontrabass, sowie "In re con moto et al" für Quartett und Klavier – letztere eine von Ives' wildesten, mitreißendsten und frechsten Kammermusik-Kompositionen. Wurden die Stücke bewusst ausgelassen oder einfach vergessen? Auf der CD hätte sich jedenfalls noch genug Platz gefunden.

Thomas Schulz, 01.09.2007


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