Sony CD 87315
(63 Min., 6/2002) 1 CD
Die junge Dame scheint es mit den romantischen Etüden zu haben. Nach ihrer spektakulären Einspielung von Chopins op. 10 und op. 25 hat sich Yo Kosuge, gerade mal zwanzig Jahre alt, nun Liszts "Etudes d'exécution transcendante" vorgenommen - einem Zyklus der extremen (klanglichen wie inhaltlichen) Widersprüche, der somnambulen Seelenwanderungen, des Changierens zwischen ungehemmter (virtuoser) Lust und kontemplativer Abgeschiedenheit, zwischen drängender Leidenschaft und zartbitterer Melancholie, Versunkenheit.
Yo Kosuge kann beides. Kann, wie in den beiden ersten Etüden oder auch der "Wilden Jagd", die Dinge im jugendlich drängelnden Sturm mit sich reißen; ausdrucksintensiv und pianistisch absolut souverän. Die japanische Pianistin, die seit einem Jahrzehnt in Europa lebt und spürbar die kulturellen Hintergründe der Musik, die sie spielt, mitdenkt, ist aber ebenso in der Lage, die typischen Liszt'schen Verschattungen aufzuspüren, so etwa in den "Harmonies du soir", einem Stück, in dem man tatsächlich aus der Ferne Kirchenglocken zu vernehmen scheint, oder auch in der lyrisch gefärbten "Paysage". Einzig das Verhältnis zwischen Bass und Diskant scheint hier und da unausgewogen: Während die unten gelegenen Linien stets deutlich markiert sind, mangelt es der Gesangsstimme noch an Leuchtkraft, an jenem diffusen Flirren, das mit dem Attribut "entrückt" wohl am besten übersetzt ist. Anders gesagt: Man vermisst in dieser durchaus gelungenen, dramaturgisch gut aufbereiteten Aufnahme das gewisse Etwas - die Transzendenz.
Jürgen Otten, 02.08.2003
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