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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Schon ein Blick auf die Wirkungsgeschichte zeigt das Ungewöhnliche, Disparate und Faszinierende dieses eigenartigen Oratoriums und seines Schöpfers. Nach einer skeptisch beurteilten Uraufführung 1873 gab es eine nationalistisch gefeierte ungarische Erstaufführung. Danach geriet das Werk bis zur Jahrhundertwende in Vergessenheit, wurde dann aber in großen Massen-Aufführungen frenetisch gefeiert; ab 1914 verschwand es endgültig von der Bühne. Rilling hat jetzt einen wohl für lange Zeit Maßstäbe setzenden CD-Mitschnitt vorgelegt.
Der “Christus” ist gleichermaßen höchst persönliches Bekenntniswerk eines tief religiösen Menschen und musikpolitischer Endpunkt im Kampf um die Erneuerung der katholischen Kirchenmusik hin zu einem “neudeutschen” Ideal: den zeitgenössischen Cäcilianismus, den Rekurs auf die “reine” katholische Kirchenmusik der Gregorianik und des Palestrina-Stils mit der neuen Orchestersprache der Sinfonischen Dichtungen zu verknüpfen. Entsprechend weist die dreiteilige Christushymne so unterschiedliche Stilmomente wie archaische Einstimmigkeit und Renaissance-Polyphonie, hochromantisch-chromatische Chorklänge und ausgedehnte Orchesterstücke im Sinne jener Tondichtungen auf. Vor allem letztere in Gestalt des pastoralen Hirtenspiels an der Krippe oder des Marsches der heiligen drei Könige verwundern in einem Oratorium. Mit den tiefsinnigen Seligpreisungen und dem Pater noster weist der zweite Teil Höhepunkte der romantischen Sakralmusik überhaupt auf.
Die Gächinger Kantorei und der Krakauer Kammerchor präsentieren sich wunderbar geschlossen und dynamisch flexibel. Leicht verzeihen lassen sich da angesichts der chromatisch-tonartlichen Höchstschwierigkeiten und Live-Bedingungen die kleinen intonatorischen Schwankungen. Daß Rilling seit Jahrzehnten Experte in Sachen oratorischer Dramaturgie ist, belegt er hier erneut in der fulminanten Wunder-Episode, dem festlichen “Osanna”-Einzug und dem glockenumläuteten Oster-Ausklang.
Das RSO bleibt trotz einiger bombastischer fortissimi stets transparent. Die Solisten mit einem einfühlsamen Andreas Schmidt als Christus-Bariton an der Spitze treten neben den Hauptakteuren von Chor und Orchester zurück, lassen jedoch, insbesondere im gut halbstündigen Stabat Mater, keinerlei Ensemble-Wünsche offen. Dass Liszt mit diesem Stabat Mater eine absolute Perle der Gattung schuf, ist eine der vielen entdeckungswürdigen Besonderheiten dieses gleichermaßen asketischen wie hochromantischen Werkes.

Christoph Braun, 01.09.2007


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