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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Spät, aber anscheinend nicht zu spät hat Hans Zender den Weg aus einer musikästhetischen Sackgasse gefunden. Glaubt man Zenders Worten zu seinem viersätzigen Oratorium "Shir Hashirim", das er nach fünf Jahren Arbeit 1996 abschloss, konnte er mit den Mitteln der Mikrotonalität endlich das einengende Handwerk des Serialismus aufgeben und sich hochexpressiven Lautschichtungen zuwenden. Abgesehen davon, dass zu diesem Zeitpunkt eigentlich das serielle Korsett kaum mehr auf dem Neue-Musik-Markt kursierte, entwickelte sich Zender immerhin zu einem tiefschürfenden und damit bannenden Freigeist. Seine musikalischen Re-Lektüren von Schubert, Hölderlin und gar vom Dadaisten Hugo Ball sind dafür beredte Zeugnisse. Dass Zender aber eigentlich noch nie zu den orthodoxen Vertretern seiner Zunft gehörte, ist den Werken abzulesen, die "Shir Hashirim" vorausgingen. So griff Zender allein für den "Canto IV" auf Texte von Thomas Müntzer, Martin Luther und Teilhard de Chardin zurück. Dem "Canto VIII" liegt nun das aus der hebräischen Bibel stammende "Lied der Lieder" zugrunde, in dem das Verhältnis zwischen Gottvater und dem Volk Israels anhand der Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau verdeutlicht wird. So sehr in dem Text nicht mit Anzüglichkeiten gespart wird, so erinnert nicht nur diese Schnittmenge aus Irdischem und Himmlischen an Stockhausens kosmologisches Welttheater "Licht". Wie sein Kollege hat Zender dem vierteiligen Werk zwei motivische Keimzellen eingepflanzt, aus denen alles entsteht. Im Gegensatz aber zum rheinischen Katholiken und kulinarischen Klangschöpfer Stockhausen formt Zender "Shir Hashirim" aus archaisch gehaltenen Intensitätsskalen und durchpulsenden Energiewellen, bei denen die beiden Sängerprotagonisten mit ihren melismatischen Deklamationen aufreibenden Chorkommentaren gegenüberstehen. Mag man sich in diesem nicht nur für die Interpreten kräftezehrenden Komplex vielleicht etwas mehr von jenem polychromen Dekor wünschen, das an Messiaen erinnert, hat Zender durchaus den Beweis angetreten, dass man Glaubenssätze sinnenschärfend und ohne Einsatz von Nebelkerzen formulieren kann.

Guido Fischer, 01.09.2007


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