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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Modest Mussorgski, Johann Sebastian Bach, Ferruccio Busoni

Bilder einer Ausstellung, Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, Die Lerche

Evgeny Kissin

RCA/BMG 09026 63884 2
(58 Min., 6/2001) 1 CD

Jewgenij Kissin rettet das 19. Jahrhundert ins 21. herüber - mehr als jeder andere große Pianist, der noch unter den Lebenden weilt. Nicht die Manierismen von damals, aber die Haltung, die Gebärde des Virtuosen, dessen Wirkung noch gesteigert auftritt, indem er einen Kokon von Mysterium um sich webt: Man weiß nur wenig von ihm, und selbst auf dem Podium scheint er gar nicht wirklich da zu sein - scheint er in weiter Ferne, entrückt in seine Kunst.
Zugleich ist Kissin aber auch einer der Genauesten auf den schwarzen und weißen Tasten (nicht gerade eine Tugend des 19. Jahrhunderts!), also auch ein Präzisionsfanatiker. Die romantische Haltung manifestiert sich vielmehr in einer Emphase, die so ziemlich die Antithese zu Glenn Gould - oder, zeitgenössischer: Olli Mustonen - darstellt. Davon legt auch diese neue Kissin-CD Zeugnis ab. Sein erklärtes Lieblingsstück, Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung", ist weniger das als vielmehr ein Kurzfilm-Festival, bewegte Bilder auf hochauflösendem Fotomaterial, cinéastisch groß und pittoresk.
Den "Gnomus" habe ich zwischen Stolpern und Grazie, zwischen Grusel und Komik nicht mehr so plastisch gehört seit - sagen wir: Horowitz, die Einspielung aus den dreißiger Jahren. Und die Troubadours-Arie des "Alten Schlosses" zeigt wieder deutlich diese erzromantische Kunst des Verzögerns und fast unmerklichen Beschleunigens, Stauens und Sich-Wieder-Lösens, diese raffiniert kalkulierte Unschärferelation zwischen linker und rechter Hand, die erst "Sanglichkeit" auf dem Schlaginstrument Klavier möglich macht.
Beim "Ochsenkarren" verspielt Kissin zwar durch kraftvoll-hohen Einsatz ein wenig das Crescendo (also das "Näherkommen"), aber die Gegenperspektive, das In-die-Ferne-Ächzen des schweren Gefährts, gelingt wieder sehr bildkräftig. Entfesselte und, so paradox das klingt, gleichzeitig immer kontrollierte Virtuosität dann bei dem Küken-Ballett, beim Marktplatz, bei der Hexe Baba Yaga - und durchs "Große Tor von Kiew" wälzt sich eine staunenerregende Prozession Zigtausender, mit den sehr subtil zur Großaufnahme wechselnden "privaten" Vignetten Mussorgskis.
Ein klangmächtiges ebenso wie ziseliertes Präludium ist Busonis Bach-Bearbeitung, eine vorweggenommene Zugabe das melancholisch-süße Russenlied - und die ganze CD eine, wie sie einem heutzutage nicht mehr häufig begegnet.

Thomas Rübenacker, 01.09.2007


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