Er hieß Illinois, stammte aus Louisiana, der Wiege des Jazz, und wurde zur Vatergestalt der "Texas Tenors". Wo auch immer die Heimat des französischsprachigen Amerikaners war, mit seinem einflussreichen Solo über "Flyin’ Home" wurde er 1942 über Nacht berühmt. Am 22. Juli 2004 ist Illinois Jacquet nun wirklich heimgeflogen. "Desert Winds" heißt dieses Album. Da ist schon wieder der Mythos Texas: Kakteen und Wüste, Heimat hartgesottener Männer, Kulisse unzähliger Cowboy-Filme. Saxofonisten der Sparte "Texas Tenors" zeichnen sich entsprechend durch besonders heißblütiges, volltönendes Spiel aus. Illinois Jacquet war sogar der Wildeste, Rabiateste unter ihnen. Er hatte einen Sound wie ein gigantischer Wüstenkaktus, kreischte und pfiff in höchsten Lagen. Seine musikalischen Ausbrüche wurden denn auch von allzu strengen Kritikern als exhibitionistisch gebrandmarkt, die Vielschichtigkeit der Kunst des vermeintlichen Berserkers kaum gewürdigt.
Gerade aber das so harmlos daherkommende, (fast) ohne die auftrumpfende Gebärde des Tenortitanen auskommende Wüsten-Album, ist mit seinen innigen, lyrischen Momenten und melancholischen Untertönen ein herausragendes Beispiel für den anderen Jacquet, ein Beleg die Kurzsichtigkeit der Kritikaster. Aus musikhistorischen Gründen sind die erdigen Tenor-Texaner eng mit den Saxofonisten aus Kansas City, Missouri verbunden und damit auch mit dem coolen Lester Young und dem quirligen Charlie Parker. Man darf Jazzgeschichte nicht verkürzen. Illinois Jacquet stellt man sich so recht als Antipoden des introspektiven Lester Young vor, dem Urbild alles Coolen, mit dem er sich in den 40er Jahren auf der Bühne oft "duellierte". Hier, auf dem Album des Jahres 1964 stand der laute Harte ganz im Banne des leisen Zarten, der fünf Jahre zuvor gestorben war. Es ist anrührend zu hören, dass Jacquet etwa auf "Star Eyes" und "Lester Leaps In", mit fast jedem Ton Lester Young stilistisch Tribut zollte. Auch Raubkatzen können ihre Krallen in weichen Samtpfoten verstecken. Ebenso verblüffend, dass Jacquet dann in "Blues For The Early Bird" plötzlich zum von ihm so selten gespielten Altsaxofon greift, um zu zeigen, dass der Bebop Charlie Parkers keine Fremdsprache für ihn war. Bleibt nur nachzutragen, dass in der Begleitmannschaft mit dem Gitarristen Kenny Burrell und dem Pianisten Tommy Flanagan typisch geschmackvolles Detroit, Michigan am Werke war.
Marcus A. Woelfle, 28.08.2004
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