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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Mauthausen - Vom großen Sterben hören

Joe Zawinul

ESC/EFA 03666-2
(62 Min.)

Nur selten wagen sich Komponisten daran, Musik zum Grauen des Nationalsozialismus insgesamt und der Konzentrationslager im Besonderen zu schreiben. Zu schrecklich sind die Ereignisse, als dass Töne ihnen gerecht werden könnten. Trotzdem nahm Joe Zawinul, Jazzpianist und Keyboarder, einen Auftrag der Lagergemeinschaft Mauthausen, eines Zusammenschlusses der ehemaligen KZ-Häftlingen, für eine Gedenkmusik an.
Am 8. August 1998 wurde „Mauthausen - Vom großen Sterben hören“ in jenen Granit-Steinbrüchen uraufgeführt, in denen die SS-Schergen die Häftlinge zur Arbeit zwangen und quälten. Die CD-Fassung entstand später im Studio. Bei seiner Gedenk-Komposition versucht Joe Zawinul nicht, eine neue Tonsprache zu finden. Er verwendet Melodien und Wendungen, die mit der Weltmusik seines „Syndicate“ korrespondieren, wirft ihnen jedoch ein düsteres, die Freiheit der Bewegungen hemmendes Gewand aus Filtern und Höhenverlusten über.
Quälend langsam verrinnen die tragenden Töne, während der Burgschauspieler Frank Hoffmann einige wenige, dafür umso eindringlichere Erinnerungstexte liest. Manchmal dringen Nazi-Gebrüll, Marschtritte, das wilde Durcheinander verstörter Menschenstimmen oder die Schreie eines Gequälten in die Musik. Die ist bewusst einfach gehalten. Dabei entschied sich Joe Zawinul dagegen, Klänge zu atomisieren oder Klangbilder zu demontieren, wie dies in der Neuen Musik oft als Reaktion auf eine nicht überschaubare, nicht beeinflussbare, als grausam empfundene Welt geschieht.
Zawinul lässt Melodien zu. Erklingen sie, steht ihre Schönheit im Kontrast zum Horror des Texts - und dieser Gegensatz vergrößert das Entsetzen über das Gehörte. Die Bewohner der Nachbargemeinden wussten vom Morden und Quälen im KZ, berichtet einer der kurzen Texte und fragt, wie sie ruhig Weihnachten feiern konnten, „während sich in ihrer Nähe diese große, einmalige Tragödie der Menscheit abspielt“.
Joe Zawinul gibt keine Antworten, und er unternimmt auch keinen Versuch, das Entsetzliche rational zu erklären. Sein Werk stemmt sich dem Vergessen entgegen. Das fast sakrale, von langsamen Melodien durchwehte Finale gibt dem Hörer Zeit zum Nachdenken.

Werner Stiefele, 01.09.2007


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