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(98 Min., 11/2005) 2 CDs
Mit Paul McCreesh assoziiert man seit zwei Jahrzehnten höchst opulente, farbenfrohe Renaissance- und Barock-Einspielungen: hinreißend etwa seine Präsentationen venezianischer Doppelchörigkeit, der Christmette von Praetorius, Bibers Missa Salisburgensis oder des Händel’schen Messiah. Sie alle zeigen zwingend, dass historische Aufführungspraxis nichts per se etwas mit verknöcherter Askese zu tun haben muss und dass Klangsinnlichkeit einer buchstabengetreuen Orthodoxie dann vorzuziehen ist, wenn diese zwar exakte zeitgenössische Aufführungsdaten realisiert, dabei aber heutige Ohren langweilt.
Seit seiner - durchaus nicht langweilig zu nennenden - Matthäus-Passion scheint sich McCreesh zunehmend auf die Seite der strengen Asketen zu schlagen. Das bestätigt nun Monteverdis Marien-Vesper von 1610: Auch hier lässt der Engländer die Mitglieder seiner beiden Gabrieli-Ensembles rein solistisch agieren. Und Instrumente werden nur dort eingesetzt, wo Monteverdi dies explizit vorsah. Schließlich hat McCreesh die Vesperteile nicht nach der überlieferten Druckfassung geordnet, sondern nach der liturgischen Praxis von Vespergottesdiensten (an Mariä Verkündigung), wie sie in Mantua zu Monteverdis Amtszeit am Hof üblich waren. Zu dieser Praxis gehörten neben den obligatorischen fünf Psalmen, dem Marien-Hymnus und dem Magnificat auch eingeschobene (gregorianische) Antiphone und (Marien-)Gebete sowie kurze Orgelzwischenspiele von Monteverdis Komponistenkollegen.
Dies alles lässt die berühmteste aller Marienvespern in ungewohntem Licht erscheinen - und führt beim Hörer zu einem lachenden und einem weinenden Auge. Jenes gilt den solistischen "Concerti"-Abschnitten, die Monteverdi in seinem revolutionär neuen konzertierend-dramatischen Kompositionsstil schuf. Die filigrane Virtuosenkunst, mit der McCreeshs Solisten etwa die erotischen Konnotationen des Hohenliedes versinnbildlichen, erzwingt restlose Bewunderung. Das gilt auch für die Subtilitäten der vorwiegend auf die Theorbe gestützten Begleitung.
Dagegen bleiben die traditionellen liturgischen und von Monteverdi wahrhaft vielstimmig gesetzten Abschnitte, angefangen vom fanfarenartigen Eröffnungspsalm "Domine ad adiuvandum" über das jubilierende "Lauda, Jerusalem" bis zum prachtvollen Höhepunkt des "Magnificat", aufgrund jener solistischen Vorgaben asketische Trockenkost. Wobei zur quantiativen Diät auch eine dynamische Gleichförmigkeit kommt. Mag sein, dass McCreesh hierbei die wissenschaftliche Quellenkritik, wohl kaum aber das Ohr, das Monteverdis Prunk und Abwechslungsreichtum liebt, auf seiner Seite hat - das verwöhnen René Jacobs oder auch John Eliot Gardiner weit mehr.
Christoph Braun, 22.12.2006
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