Seit Stan Getz’ Bossa nova-Platten sind rund 60 Jahre vergangen. Nun legen die Sängerin Gretchen Parlato und der Gitarrist (und auf dieser Disc auch Sänger) Lionel Loueke eine Disc vor, die vieles mit der leichten, entspannten Atmosphäre von Stan Getz’ Jazz-Samba-Platten sowie Songs wie dem „Girl From Ipanema“ gemeinsam haben und doch ganz anders sind. Das beginnt bei den Texten: Loueke und Parlato besingen keine Menschen an der Strandpromenade, die einer schlanken, braunen Schönheit hinterherstarren und ein begeistertes „Aah“ von sich geben. Stattdessen stellen sie fest, dass Geld nicht alles ist und das Leben viel Schönes bereithält.
Auch die Musik geht weiter als bei der damaligen Kooperation von Stan Getz mit der Sängerin Astrud Gilberto. Parlato und Loueke integrieren in die zwölf Titel ihrer Disc „Lean In“ eine pralle Fülle musikalischer Elemente aus Westafrika, Brasilien, Nordamerika und anderen Regionen dieser Welt. Zudem hat sich die Amerikanerin – anders als Getz – vor den Aufnahmen jahrelang mit der Musik Brasiliens befasst und ist entsprechend tief eingedrungen, während Loueke seine Wurzeln in der Musik seines Geburtslands Benin sowie seine in den USA vertieften Erfahrungen mit Blues und Jazz einbringt. Herausgekommen ist ein bezauberndes Album mit federleichten, fröhlichen Songs, die eine ähnliche Neugier und Verspieltheit wie die Getz-Klassiker aus den 1960er Jahren spüren lassen.
Vor allem in „Akwê“, „I Miss You“, „Nonvignon“ und „Walking After You“ sorgen die helle Stimme Parlatos und der hohe Tenor Louekes sowie dessen Mundpercussion und Schnalzlaute und sein von der Saiteninstrument-Tradition Benins geprägtes Gitarrenspiel für brasilianisch-afrikanisches Flair. Außerdem wandert das von musikalischen Freunden unterstützte Duo mit „If I Knew“ zum beschwingten Pop, lässt mit „Astronauta“ die klassische Bossa nova aufleben und präsentiert Parlato im Titelstück „Lean In“ als eine Art von afro-brasilianischer Singer-Songwriterin. Der Blick über den jeweiligen Tellerrand, die sorgfältige Auseinandersetzung von Parlato und Loueke mit Neuem und zunächst Fremdem führten zu einem einzigartigen, abwechslungsreichen Album.

Werner Stiefele, 20.05.2023

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