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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Uri Caine

Agent Orange

Uri Caine, Brüsseler Philharmonie, Alexander Hanson

Winter & Winter/Edel 1002862WIN
(45 Min., 1/2018)

Agent Orange ist jenes Gift, mit dem die U.S. Army im Vietnamkrieg Bäume entlaubte, um den Vietkong besser bekämpfen zu können. Je nach Quelle leiden zwei bis vier Million Vietnamesen, darunter über 100 000 Kinder mit Fehlbildungen, an Spätfolgen des Gifts. Ein zweiter „Agent Orange“ ist Ex-Präsidenten Donald Trump, dem Amerikas außerparlamentarische Opposition den Spitznamen wegen seiner demokratie-zerstörerischen Aktivitäten und seiner oft orangenen Gesichtsfarbe verlieh.
Wer bei diesen Hintergründen vermutet, Uri Caines „Agent Orange“ wäre Agitprop oder vertonte Friedensbewegungslyrik, täuscht sich gewaltig. Caine schrieb ein vielschichtiges Orchesterstück für Orchester und vier improvisierende Musiker, in dessen Klängen sich Unruhe, Verwirrung, Sakralsehnsucht und Unterhaltungsseligkeit überlappen. Dabei sind eigenen Improvisationen am Flügel sowie die des Saxofonisten Dave Liebman, des Kontrabassisten John Hébert und des DJ Olive so homogen in die Brüsseler Philharmonie eingebunden, als stünden sie in der Partitur.
Die in zehn nahtlos ineinander übergehende Teile gegliederte Komposition gleicht einem musikalischen Mosaik der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Geschichte. So integriert DJ Olive – wohl als Karikatur des Ex-Präsidenten – Blubber- und Brabbelgeräusche ins Titelstück. Ähnlich verfährt Caine in „Upside Down Bible“, in dem scheinbare Entspannung und aggressive, von Saxofonschreien durchzogene Hektik das Treiben der Klerikalen aufs Korn nehmen. In „The Separation Of The Children“ erinnert verfremdetes Kindergeschrei daran, wie unter Trump den aus Mexico in die USA geflüchteten Eltern die Kinder abgenommen und an amerikanische Familien übergeben wurden. Die „Civil War Fugue“ kombiniert Anklänge an die Südstaaten-Hymne mit Froschquaken, bevor Krümel der amerikanischen Nationalhymne und Beethovens Eroica an progressive Elemente erinnern. Diese gehen jedoch im folgenden „On The March“ in stampfenden Rhythmen und allgemeinem Gewaber unter, aus dem – wiederum ein Zeichen des Optimismus – der Saxofonist Dave Liebman diese inhomogene (Ton)Masse wie ein Redner auf einer Demonstration zu einer homogeneren, fast kämpferischen Menge vereint. Doch „An Uncertain Fate“ bringt die Unsicherheit zurück, die im Stil der frühen Tonband-Schleifen-Werke von Steve Reich mündet: Alles wiederholt sich. Ein Polit-Opus mit aussagestarken Klängen.

Werner Stiefele, 18.03.2023


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