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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Von den fünf Opern Paul Dessaus, alle in Berlin uraufgeführt, hat der VEB Deutsche Schallplatten vier im Studio eingespielt. Die kannte man also. Nur die 1969 erstmals gegebene, von Heiner Müller getextete Politsatire „Lanzelot“ schien vergessen. Doch 2019 hat sie der hartnäckige Peter Konwitschny nicht nur als prallbunte, schräg-witzige Operngroteske am Nationaltheater Weimar szenisch wie musikalisch zum Überraschungserfolg geführt. Der MDR hat damals mitgeschnitten, und jetzt wurde der „Lanzelot“ veröffentlicht. Sehr bildhaft klingend kippt – nach Vogelgezwitscher und Naturmelodien – gleich ein Land ins steinzeitliche Chaos aus Dissonanzen und Geschrei: Der versierte Opernkomponist Dessau wusste, wie ein Musiktheateranfang zu gestalten ist.
Die auf Motive von Hans Christian Andersen und Jewgeni Schwarz zurückgehende Moritat in 15 Bildern erzählt von einer Republik, die seit alters von einem Drachen bedroht wird, dem jedes Jahr eine Jungfrau geopfert werden muss. Als Ritter Lanzelot als Retter auftaucht, will außer der als nächste auserkorenen Elsa, kaum einer was von ihm wissen. Die Gesellschaft, die Nomenklatura ganz besonders, hat sich ganz gut mit dem Übel eingerichtet.
Dominik Beykirch hält im Graben die Massen souverän zusammen, koordiniert die Bühnenmusik aus allein acht Perkussionisten als personifizierte Drachen-Krachmacher, und bleibt bei den vielen Zuspielungen wie Soundeffekten dran. Der alle in Schrecken versetzende Drachen-Popanz wird vom satten Bassbariton Oleksandr Pushniak gesungen. Die Elsa der koloratursprühenden Emily Hindrichs gibt viele exaltierte Noten von sich. Máté Sólyom-Nagys Lanzelot, einst als die Arbeiterklasse befreiender „Genosse der Thälmann-Kolonne“ missgedeutet, ist ein echter Heldenbariton. Ein großes, wichtiges, zeithistorisches, doch auch zeitgemäßes Gesamtkunstwerk ist dieser „Lanzelot“ noch immer. Schlagkräftig, witzig, unterhaltend, auch nachdenklich und aufrüttelnd.

Matthias Siehler, 04.03.2023


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