Es gehört schon ein Stück Heimatverbundenheit dazu, ein Album nach dem Dünengras an Schottlands Küsten zu benennen. Der Saxofonist Matt Carmichael, Jahrgang 1999, stellt sie nicht nur über den Titel zur Schau. Er musiziert sie auch – und das absolut weltoffen und mit dem Mut eines Jazzmusikers. Dieser Bezug auf die lokalen Wurzeln erinnert daran, wie Jan Garbarek auf der Basis der emotionalen Welt der norwegischen Volksmusik seinen persönlichen Stil innerhalb der Vielfalt des europäischen Jazz entwickelte.
Matt Carmichael ist, wie unweigerlich an seiner Melodieführung zu erkennen ist, Schotte. Der Fiddler Charlie Stewart, der 2017 von der BBC als Young Traditional Musician of the Year ausgezeichnet wurde, verstärkt dieses Flair mit jenem kratzigen Bogenstrich, der Bilder von Kneipen und tanzenden Schotten aufkommen lässt. Ein Hauch von Sehnsucht durchweht den Klang von Fiddle und Carmichaels Saxofon in „The Far Away Ones“. Die Ballade „Marram“ fasst das Schwingen des Strandgrases in zurückhaltende Töne, und in „Waves“ und „There Will Be Better Days“ unterlegt Fergus McCreadie den schwebenden Melodien von Saxofon und Fiddle repetitive Klaviermotive. Immer wieder scheinen Tanzrhythmen durch, sei es im zweiten Teil dieses Stückes, in „Road to the Sea“ oder „On the Gloaming Shore (Pt. 1), dessen zweiter Teil vom hymnischen Opus auf die Weite des Strands zu den zarten Wurzeln in der Volksmusik zurückkehrt.
Obwohl die volksmusikalische Tradition häufig durchschimmert, ist Carmichaels Quintett weit von den Klischees der reinen Folklore entfernt. Das garantieren sowohl die ungeheuer farbenprächtigen Soli des Bandleaders als auch die eindeutig im Jazz verwurzelten Ali Watson und Tom Potter an Kontrabass und Schlagzeug. So, wie die fünf die schottische Strandlandschaft portraitieren, möchte man unbedingt zu einem entspannenden Urlaub aufbrechen.

Werner Stiefele, 26.11.2022

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