Alpha/Note 1 ALP724
(58 Min., 8/2020)
Ein wunderschön anzuhörendes Album, dessen Erlebnishorizont für den Hörer vor allem durch die großartige Stimme der Mezzosopranistin Eva Zaїcik bestimmt wird: Sie verbindet ein abgerundetes, angenehm dunkles Timbre mit stupender Koloraturen-Geläufigkeit und brilliert dadurch mühelos etwa in Antonio Vivaldis unbekannter Solo-Motette „Invicti, bellate“. Im langsamen zweiten Satz dieses Stückes zaubert Vincent Dumestre einen betörend schönen Streicherklang herbei, der sich perfekt mit der Stimmfarbe der Sängerin mischt. Der programmatische Rahmen des „Lobpreises“, den der Beihefttext beschwört, ist freilich recht weit gesteckt: Er erlaubt es den Künstlerinnen und Künstlern, Vivaldi und Pietro Locatelli direkt neben Serafino Razzi und Francesco Soto de Langa zu stellen, die um 1600 tätig waren und hier mit zwei Laudi vertreten sind.
Für die kundigeren Hörer ist es unbefriedigend, bei letzteren Stücken nicht ermitteln zu können, was hier die ursprüngliche Substanz und was Bearbeitung oder Improvisation ist – so, wie sie hier erklingen, sind die Stücke sicher nicht niedergeschrieben. Bei Razzi verwundern gelegentliche offene Oktavparallelen – passieren sie beim Improvisieren oder sind sie Ausdruck der einfachen Faktur dieser Musik? Und mit Blick auf die Soto-Laude lässt sich feststellen, dass ein wohlfeil poppiger Interpretations- oder auch Bearbeitungsstil hier wesentlich zur Wirksamkeit der Nummer beiträgt. Ganz unvermittelt wartet danach ein Tenorsolist mit der ersten Strophe von Psalm 127 auf, die er bedeutungsschwanger im simplen Psalmton vorträgt – „So What?“ fragt sich, wer Psalmodie aus der Praxis kennt. Im Beiheft fehlt übrigens der Hinweis auf die biblische Textherkunft von Psalm 127, der ja später im Programm dann komplett in Vivaldis Vertonung erklingt. Kurzum: Wenn sich historisierende Aufführungspraxis in puncto Präsentation geistlicher Musik so weit von der liturgischen und biblischen Verortung der Stücke abnabelt, dass man einfach nur noch schöne Musik in geschmeidiger Darbietung hört, ohne zu wissen, um was es geht, dann freut sich und genießt ganz unbelastet der Ahnungslose. Aber es wundert und betrübt sich derjenige, der weiß, aus welcher Praxis diese Werke eigentlich stammen. Geistliche Musik ist heimatlos geworden, aber daran ist nicht allein die Kirche schuld.
Michael Wersin, 17.09.2022
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