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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Albert Roussel, Emmanuel Chabrier, Ernest Chausson, Jacques Ibert u. a.

Paul Paray – The Mercury Masters Vol. 1 (1953-57)

Detroit Symphony Orchestra, Paul Paray

Australian Eloquence/Universal ELQ4842318
(902 Min., 1953-57) 23 CDs, Mono & Stereo

Neben Pierre Monteux und Charles Münch war Paul Paray (1886–1979) der dritte große französische Orchestererzieher der Nachkriegszeit in den USA. Er übernahm 1951 das marode Detroit Symphony Orchestra und formte es (mit Unterstützung des Autotycoons Henry Ford) zu einem der besten Klangkörper der Neuen Welt. Mehr als 80 LPs, die er zwischen 1953 und 1962 für das legendäre Klassik-Label Mercury in „Motown“ produzierte, künden bis heute von der Klarheit, Frische und pulsierenden Lebendigkeit seiner atmosphärisch dichten, gestochen prägnanten Aufnahmen, die sich neben Mercury-Hausgott Antal Doráti ästhetisch wunderbar einfügten in die „Living-Presence“-Philosophie des von Tonmeister-Legende Robert C. Fine geführten HiFi- und Stereo-Pioniers.
Bislang war Paul Paray nur in den drei Sammeleditionen des Mercury-Labels, die von 2010 bis 2015 erschienen, mit einem guten Dutzend Aufnahmen vertreten, jetzt aber hat Robert Fines Sohn Thomas seine gesamte Mercury-Diskographie in zwei Boxen auf insgesamt 45 neu gemasterten CDs beim australischen Reissue-Label Eloquence veröffentlicht und den längst in Vergessenheit geratenen Dirigenten postum umfassend gewürdigt.
Wer die unglaublich präzisen Stereo-Aufnahmen Parays kennt, die vor allem französisches Repertoire vorweisen, wird jetzt überrascht sein, welche schlackenlose Transparenz und welches innere Feuer er schon in seiner Anfangszeit in Detroit seinem komplett neu aufgebauten Klangkörper auch im deutschen Repertoire abzutrotzen verstand: denn bereits im Februar 1953, also ein gutes Jahr nach seinem Amtsantritt, glänzten seine Detroiter Musiker in Wagners Ouvertüren mit einer Spielkultur, einer Homogenität und Präzision, die Arturo Toscaninis NBC Symphonie Orchestra fast noch übertraf, und auf einer Linie war mit George Szells oder Fritz Reiners Ansprüchen. Allein das kurze Vorspiel zum 3. Akt von „Lohengrin“ unterstreicht sehr eindrucksvoll den entfesselten Drive, die uhrwerkshafte Präzision und die schlackenlose „Modernität“ von Parays „polyphoner“ Wagner-Auffassung, die sich schon vor fast 70 Jahren wohltuend absetzte von allem teutonischen Wasserdampf und aller Brachialgewalt.
Ein herausstechendes Ereignis der ersten Box ist aber Parays geradezu glühende, messerscharf punktgenaue, rhetorisch scharf gebündelte Mono-Aufnahme von Johannes Brahms vierter Sinfonie im März 1955, die mit bestürzender Suggestivität und einer phänomenalen Durchhörbarkeit die Souveränität und die Gestaltungsmacht dieses einzigartigen Dirigenten unterstreicht: Wer Toscaninis oder Otto Klemperers späte Meilensteine dieser Sinfonie kennt, wird mir zustimmen, dass Paray hier einen durchaus französisch gefärbten Ansatz der unbestechlichen Klarheit, der intellektuellen Strenge, und einer zwingenden rhetorischen Logik wählt, der die innere Vielstimmigkeit, die Architektur, die geistige Größe dieses Gedankenkolosses in den Vordergrund rückt. Noch nie klang die Vierte so spannend, so abgründig, so „fantastisch“ – als sei Brahms ein Schüler von Hector Berlioz. Ähnlich zwingend, und von einer unaufhaltsamen „Logik“ vorangetrieben, klingen auch seine Stereo-Aufnahmen der ersten beiden Beethoven-Sinfonien, die Bob Fine dann im Januar 1959 mit nur drei Mikrofonen in eine Dreispur-Bandmaschine zauberte. Auch diese Aufnahmen sind nach immerhin 60 Jahren nicht um einen Tag gealtert.
Da Paray für Mercury vor allem das französische Repertoire betreuen sollte, enthält mehr als die Hälfte des umfangreichen Konvoluts Werke französischer Komponisten, und mit Rücksicht auf das amerikanische Publikum auch viel Populäres wie Märsche, Ouvertüren oder kürzere Stücke. Aber gerade auch hier befeuerte Paray die Detroiter zu unglaublich suggestivem, mitreißendem Totaleinsatz. Zu den absoluten Höhepunkten zählt hier seine wirklich revolutionäre, entfesselt-explosive Deutung der „Symphonie fantastique“ im November 1959, die mit nur 45 Minuten Spielzeit bis heute zu den schnellsten Versionen in der riesigen Diskografie zählt, und wie die meisten seiner sinfonischen Einspielungen von geradezu elektrisierenden inneren Kräften angetrieben wie im Fieberwahn an einem vorbeirauscht. Der Schlusssatz ist ein echtes Höllenspektakel, aber alles mit messerscharfer Präzision, ganz ohne Fett und Bombast. Allein diese eine Aufnahme weist ihn als einen der größten Pultheroen des letzten Jahrhunderts aus. Und wer nicht gleich den ganzen Paray erwerben möchten, dem empfehle ich auf alle Fälle die zweite Box mit lauter audiophilen Stereo-Aufnahmen.

Attila Csampai, 10.09.2022


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