Vor vier Jahren hieß es bei Nadine Sierra „There’s a Place for Us“, und auf ihrem gelungenen Debüt-Album platzierte sich die heute 34-jährige Amerikanerin dank ihrer puerto-ricanischen, italienischen und portugiesischen Wurzeln mit US- wie lateinamerikanischem Repertoire. Jetzt folgt „Made for Opera“ und da liegt, nach ersten Erfolgen vor allem im Mozart- und leichten Belcantofach, gern auch an der Berliner Staatsoper, die Latte schon etwas höher. Mit Donizettis Lucia, Verdis Violetta und Gounods Juliette greift sie auf ihrem zweiten Album für die Deutsche Grammophon überdeutlich nach den Primadonnen-Sternen. Wobei sie diese als sympathisch-jugendliche, leichtgewichtig vokalverspielte Julia mit cremigem Timbre, perlender Koloratur und einem bisweilen ins ostentativ Plastikkünstliche abdriftenden An-und-Ausknips-Charme noch am meisten überzeugend zum Funkeln bringt. Sierras Hauptproblem: Sie kann das alles technisch singen, sie weiß wie man diese oft gehörten Noten mit einer technisch gut geführten, strahlend höhenklaren Stimme zu musikalischem, ja dramatischem Leben erweckt. Dabei freilich sind ihr das muffig tönende Orchester der RAI Turin unter dem erstaunlich lahmenden Riccardo Frizza keine wirkliche Interpretationshilfe. Ebenfalls scheinen die Comprimarii, etwa der arg pressende Paolo Fanale mit seinen Alfredo-Einwürfen nicht wirklich DG-würdig. Aber sie findet keine individuelle Note, keinen persönlichen Ansatz für die Noten gewordene Psychologie dieser Figuren. Wo ist die wirkliche Nadine? Man hört Posen, absolvierte Noten, keine Koloraturmalerei, nicht die Spur einer unerwarteten Facette. Nadine Sierra erfüllt wieder einmal. Aber sie erfühlt zu wenig und zu selten. Schade.

Matthias Siehler, 16.04.2022

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