bastille musique/rudi mentaire distribution bm018
(60 Min., 5/2018)
Welcher Komponist auch immer sich in der Nachkriegszeit mit dem Gedanken trug, eine Sinfonie zu schreiben, musste mit heftigem Gegenwind seitens prominenter Kollegen rechnen. Denn für die neuen Klangbilderstürmer Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono und Pierre Boulez hatte sich diese traditionsreiche Gattung mehr als überlebt. Weil sich aber der Rheinländer Bernd Alois Zimmermann nie als musikideologisch gepolter Avantgardist empfand, sondern Musikgeschichte stets als zukunftsweisenden Motor ansah, schrieb er nicht nur 1951 eine (einsätzige) Sinfonie. Wenige Jahre später machte er sich gar an die Arbeit an seiner ersten Oper und damit an eine Form, die gleichermaßen in der jungen Neuen Musik auf wenig Gegenliebe stieß. Doch bevor Zimmermanns „Die Soldaten“ endlich 1965 in Köln uraufgeführt werden konnte, hatte er aus einzelnen Szenen eine Vokalsinfonie zusammengestellt. Und im Gegensatz zur frühen Instrumentalsinfonie wurde nun ihre Uraufführung 1963 äußerst positiv aufgenommen. Dabei besitzt die Vokalsinfonie mit ihrer elementar lodernden und dahinrollenden Wucht nichts, was Rücksicht auf den Publikumsgeschmack andeuten würde. Auch das sinfonische Frühwerk ist mit seinen unvermittelt gesetzten Attacken und großorchestralen Energieentladungen nichts, was man so nebenbei hört. Doch allein die angetippte Nähe etwa zu den Ballettklassikern von Igor Strawinsky und gleich zu Beginn sogar zu César Francks d-Moll-Sinfonie steht für ein großzügig offenes Klangdenken, das zudem nichts an Spannungsgeladenheit eingebüßt hat. Wobei es natürlich auch hier immer darauf ankommt, wer sich dieser sinfonischen Herausforderungen annimmt. Bei den Live-Mitschnitten aus der Kölner Philharmonie war es das WDR Sinfonieorchester, das weiterhin auch in der zeitgenössischen Musik eine Instanz ist. Und mit Emilio Pomàrico hatte man einen gleichermaßen mit der Musik des 20. & 21. Jahrhunderts mehr als vertrauten Dirigenten gewonnen. Zusammen mit einem großartigen Sänger-Sextett verwandelte man nun die beiden Sinfonien von Zimmermann in akustische Spiegelbilder einer Zeit, in der die erst wenige Jahre zurückliegende Menschheitskatastrophe noch allgegenwärtig war. Kalt kann einen diese Moderne nicht lassen.
Guido Fischer, 27.11.2021
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