Wie der Apologet der Zweiten Wiener Schule, Theodor W. Adorno, einmal gestanden hat, bewunderte er an dem Schönberg-Lehrer Alexander von Zemlinsky die „Fähigkeit, kondensierte Melismen zu formulieren, in welche die lyrische Süße wie in Waben sich zusammendrängt“. Nun mag dieses Urteil selbst auf Zemlinskys berühmtestes Werk, seine „Lyrische Sinfonie“ zutreffen. Aber völlig aus dem Rahmen fällt da seine dreiteilige sinfonische Dichtung „Die Seejungfrau“, die 1903 nach dem bekannten Andersen-Märchen entstanden ist. Von konzentrierter Süße kann da nämlich schon deswegen so gar keine Rede sein, weil Zemlinsky seinen Ruf als vehementer Eklektiker mit breiten Melos-Strömen untermauert, die er sich eins zu eins von Tschaikowskis „Pathétique“ entliehen hat. Hinzu kommen nicht weniger klangkulinarisch gefeierte Wesenszüge etwa von Wagner, Mahler und Richard Strauss. Doch Zemlinsky verzahnte und verschmolz all das nun zu einer Art österreichischem Fin-de-Siècle-Verismo, an dem man sich nicht satthören kann.
Erst recht gilt dies in der Aufnahme mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines Chefs Vasily Petrenko. Nicht nur breitet man die überreiche, glitzernde und funkelnde, schäumende und schwelgende Partitur in all ihrer Farbenpaletten-Herrlichkeit aus. Alles wird zugleich mit der nötigen Transparenz und Tiefenschärfe zelebriert, um so jegliche musikalische Gefühlsverklumpung zu vermeiden.
Ähnliche Herausforderungen bietet auch das zweite Hauptwerk aus der klassischen Moderne. Es ist die Musik für die Tanzpantomime „Der Geburtstag der Infantin“, mit der dem Schönberg-Freund Franz Schreker 1908 eine gleichermaßen zauberhaft oszillierende und energiereich eruptive Musik gelang. Und auch hier spielen Petrenko und seine Liverpooler auf absolutem Champions-League-Niveau.

Guido Fischer, 10.07.2021

---

Diese CD können Sie kaufen bei:

---

---

---

Kommentare

Kommentar posten

Für diese Rezension gibt es noch keine Kommentare.

---