Hyperion/Note 1 CDA68366
(104 Min., 5 & 6/2020) 2 CDs
Auch Niccolò Paganinis „Maestoso“-Caprice Nr. 4 ist mit ihrem unerbittlichen Strom aus Doppelgriffen, Oktaven und Dezimen ein einziger manueller Höllentrip. Wie die restlichen 23 Capricci eben. Mancher ist daher schon froh, wenn er allein diese violinistische Kurzstrecke halbwegs sattelfest und fehlerfrei zurücklegen kann. Bei Alina Ibragimova ist alles anders. Absolut mühelos nimmt sie die vertracktesten Kniffligkeiten. Und wer keine spieltechnischen Hürden zu kennen scheint, der kann sich auf den wahren Wesenskern eines Kunstwerks konzentrieren. Und so nimmt sie sich ausführlich Zeit, nämlich fast geschlagene zehn Minuten, um bisweilen die Zeit stillstehen zu lassen und all jene Momente des menschlichen Hineinhorchens und Zweifelns auszukosten, die so gar nichts mit dem gängigen Paganini-Schneller-Höher-Weiter-Klischee zu tun haben.
Es sind wahre romantische Minidramen, die sich bei Ibragimova hinter diesem Piècen-Parcours verbergen. Und in jedem dieser 24 Stücke erzählt sie mit ihrer locker aus dem Handgelenk geschüttelten Brillanz hochspannungsvoll Geschichten, die weit mehr zu bieten haben als auch die übliche Belcanto-Operngeste. Vergleicht man etwa Thomas Zehetmairs schon beeindruckende Aufnahme der a-Moll-„Agitato“-Caprice mit der seiner Kollegin, könnten die Gegensätze nicht größer sein. Während Zehetmair eben aus der anfänglich leicht neobarocken Introvertiertheit dann doch den Verlockungen der großen Opernbühne nicht widerstehen kann, wird daraus bei Ibragimova ein einsames, zerbrechliches Lied ohne Worte. Wobei sie auch im Dynamischen eine enorm feinabgestufte Palette abruft, die ebenfalls ein ganz neues Licht auf den verkannten Ausdrucksmusiker und visionären Klangfarbenerfinder Paganini wirft. Diese Gesamteinspielung der 24 Capricci ist ab sofort der neue Maßstab.
Guido Fischer, 12.06.2021
Diese CD können Sie kaufen bei:
Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen
Für diese Rezension gibt es noch keine Kommentare.