Mit seinem Zugriff auf Joseph Haydns Streichquartette macht das international besetzte, auf Darmsaiten spielende Chiaroscuro Quartet seit geraumer Zeit Furore. Die vorliegende CD komplettiert die Gesamteinspielung des Opus 76 mit den Quartetten vier bis sechs. Unvoreingenommen und ohne genauere Kenntnis der vorausgehenden Haydn-CDs des Ensembles lauscht der Rezensent dieser aufregenden, in ihren Formen, Farben und Strukturen so ungeheuer vielfältigen Musik und hört einen sehr homogenen Ensembleklang, der indes erstaunlicherweise nicht durch eine grundsätzlich gesicherte Intonationsreinheit besticht: Zu diesem Punkt wäre die Frage zu stellen, ob im Zeitalter einer historisierenden Aufführungspraxis, zu der sich das Quartett durch die Wahl der Besaitung ja offenbar bekennt, ein höheres Maß an Perfektion erreichbar und auch wünschenswert wäre. Unbeschadet dessen überzeugt das Ensemble durchaus auf musikalisch-rhetorischer Ebene: Zum Sprechen zu bringen die Musikerinnen und Musiker Haydns Musik in der Tat. Die Vielfalt der Ausdrucksgesten und Arten des Untereinander-Kommunizierens, die sich in den raffinierten Partituren dieser Meisterwerke finden, gelangen in der vorliegenden Darbietung so umfassend zur Geltung, dass sie das Haydn-Erleben einer dabei vielleicht an einen älteren Herrn mit bezopfter Perücke denkenden Hörerschaft sicher gewinnbringend zu erweitern vermag. Aber freilich: Ein solcher Zugriff auf Haydns altehrwürdige Kammermusikreihen-Schmuckstücke ist nicht so neu, wie es vielleicht scheint: Hört man die Quartette des Opus 76 etwa vom Quatuor Festetics, dann ist man nicht minder überwältigt von der überbordenden Eloquenz der Musik – und entdeckt in dieser rund 20 Jahre älteren Einspielung sogar noch ein Plus an Intonationsreinheit.

Michael Wersin, 24.04.2021

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