Wenn der Trompeter Franco Ambrosetti ins Studio geht, engagiert er als Begleiter anerkannte Größen der amerikanischen Szene. Sie bieten dem ehemaligen Industriellen die adäquate Umgebung, denn er hat sich schon in den Jahren, als er 1973 bis 2000 das Familienunternehmen Ambrosetti Industrial Group leitete, als einer der Top-Trompeter des europäischen Jazz erwiesen. Auch als er im Januar 2020 mit 78 Jahren ins Studio ging, blies er seine Instrumente Trompete und Flügelhorn so nuanciert wie nur wenige Kollegen. Fest und klar ist sein Ton, und in den Höhen funkelt er angenehm. Der Ideenreichtum, mit dem er Themen umspielt und verziert, scheint bei den neun Balladen des Albums „Lost Within You“ unerschöpflich.
In Konzeption und Soli steht Ambrossetti in der Tradition von Bebop und Hardbop. Jedes Stück beginnt und endet mit einem mehr oder weniger detailliert ausgearbeiteten Head-Arrangement; was dazwischen geschieht, ist auf der Basis von Absprachen improvisiert. In einer Quartettversion von Horace Silvers Klassiker „Peace“ gibt es eine der raren Gelegenheiten, Jack DeJohnette als feinfühligen Klavierbegleiter zu hören. Ansonsten sitzt er an seinem angestammten Instrument, dem Schlagzeug. Den Klavierstuhl besetzen dann abwechseln Renee Rosnes und Uri Caine. Scott Colley spielt Bass und der Gitarrist John Scofield ist manchmal als zurückhaltender Begleiter zu hören und setzt hin und wieder Ambrossettis weichem, fließendem Klang raue Soli entgegen. Insofern hebt er sich von den übrigen Bandmitgliedern ab, die eher die bedächtige Grundstimmung aufrechterhalten.
Für die dreitägige Session hat Ambrossetti vor allem fremdes Repertoire ausgewählt; von ihm stammen lediglich die federnde Latinnummer „Silli“ und „Dreams Of A Butterfly“, der sich etwas ermüdet an die vorherigen Flatterflüge erinnert. Standards, darunter „Body And Soul“ und „Flamenco Sketches“, frischen Ambrossetti und seine Stars so geschmackvoll auf, dass man sich in den Klängen verlieren kann.

Werner Stiefele, 13.02.2021

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