DG/Universal 4839505
(124 Min., 2/2020) 2 CDs
Mit tief auch in der Volksmusik verankerten Sinfoniegeschichten kennt sich Gustavo Dudamel seit jenem Karrieresprung aus, der ihm mit Gustav Mahler geglückt ist. Nun hat er sich mit Charles Ives nicht nur einem weiteren Wegbereiter der Moderne zugewandt. Wie Mahler verwandelte Ives seine Sinfonien zu vielschichtigen, sich aus Märschen und Folksongs speisenden Klanggebilden. Zwischen 1898 und 1918 entstanden die vier, später oftmals revidierten Sinfonien des Amerikaners. Und während Ivesʼ sinfonischer Erstling sich noch auffällig an die europäische Klassik anlehnt (beim langsamen Satz muss man automatisch an den Kurzzeit-New Yorker Antonín Dvořák denken), nimmt die kaleidoskopartige Komplexität immer weiter zu. Bis zur 4. Sinfonie als eine aus der Welt gefallene Collage aus Kirchenliedern und Ragtimes, Chormassen und brodelnder Harmonik. Erst kürzlich hat das San Francisco Symphony unter seinem scheidenden Chefdirigenten Michael Tilson Thomas auch diese Sinfonie mit unglaublicher Intensität vorgelegt. An diese kommt zwar jetzt das Los Angeles Philharmonic Orchestra unter seinem Chef Gustavo Dudamel nicht heran. Und speziell die ersten beiden Sinfonien geraten in den Konzertmitschnitten etwas zu zahm, freundlich und gar nett. In den Sinfonien Nr. 3 und 4 zieht Dudamel jedoch die Zügel strammer an. Dennoch vermisst man das ultimative Risiko und den Willen, diese tosenden Klanguniversen bis an den Rand des Kollapses auszureizen. Das spieltechnisch ineinandergreifende Gefüge und der Luxus-Sound des LA Philharmonic sind natürlich mächtig beeindruckend bis fantastisch. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass für Dudamel Ives dann doch eher nur eine kauzig-verschrobene Leichtgewichtsausgabe von Mahler gewesen ist.
Guido Fischer, 06.02.2021
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