In Zeiten von Fake News lauern die gefährlichen Halbwahrheiten überall. Doch der Hannoveraner Altsaxofonist, Oboist und Komponist Fynn Großmann will den Titel seines Plattendebüts nicht politisch verstanden wissen. Für ihn umschreibt „Halbwahrheit“ vielmehr die Differenz zwischen dem perfektionistischen Anspruch beim Ersinnen von Stücken und dem, was nachher auf den Notenblättern und den Speichermedien landet.
Der junge Mann ist anscheinend sehr bescheiden: Denn sein Quintett mit Tenorsaxofonist und Klarinettist Phillip Dornbusch, Pianist Marko Djurdjevic, Bassistin Clara Däubler und Drummer Johannes Metzger macht jedenfalls keine halben Sachen. Mit großer Sensibilität und stilistischer Elastizität setzt die Formation die oftmals filigranen Kompositionen ihres Bandleaders um. Vor allem durch den Einsatz der Oboe, die an Paul McCandless von der Band „Oregon“ erinnert, erhält Großmanns Musik einen Wiedererkennungseffekt.
Geschickt vermischen sich auf „Halbwahrheiten“ klassische Kompositionsprinzipien mit federnden krummen Rhythmen, unvorhersehbaren, aber nie plakativen Wendungen sowie einem erzählerischen Gestus, der die Gebilde für den Hörer nahbar macht. Im Stück „Der Fallschirmsprungtag“ etwa scheinen die Instrumente sämtliche Emotionen vor, während und nach dem freien Fall zu durchleben – vom ängstlichen Keckern bis hin zum Sturz ins Glück.
Die kammermusikalische Grundanlage hindert Großmann auch nicht, kühn in andere Gefilde zu springen. Da gibt es geheimnisvolles Brodeln im Geiste Coltranes in der Einleitung von „Pultanin' Namu“ genauso wie unüberhörbare Big-Band-Anleihen in „Meditation Trane“, das ungeachtet seines Titels mehr mit Gerry Mulligan als mit Trane gemein hat.
Fest steht: Dass sich Großmann auf seiner ersten Veröffentlichung für das Label des Posaunisten Nils Wogram als reizvolle neue Stimme im deutschen Gegenwartsjazz erweist, ist definitiv keine Halbwahrheit.
Josef Engels, 14.09.2019
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