Was macht man, wenn man nicht wohin weiß mit seinem Liebeswahn? Man komponiert – und zwar eine Musik, bei der es keine zwei Meinungen darüber geben kann, dass dem Komponisten dabei das Herz heftig bis zum Hals geschlagen hat. Leoš Janáček ließ denn bekanntermaßen seinen Gefühlen, die er gegenüber der ebenfalls verheirateten Kamila Stösslová hegte, nicht zuletzt in seinem 2. Streichquartett freien Lauf. Und wie er wohl selber von seiner Liebe derart überwältigt war, dass ihm bisweilen die Feder verrückt spielte, ist in der Neuaufnahme des Werks durch das englische Belcea Quartet quasi in jedem Takt zu spüren. So auch im „Largamente“-Abschnitt des 3. Satzes, bei dem die 1. Violine das hohe E in die Luft brennt, als würde sich dahinter ein einziger Liebeshoffnungsschrei von Janáček verstecken. „Intime Briefe“ hat er sein 2. Streichquartett genannt. Beim Belcea Quartet ist nichts intim. Vielmehr zieht es einen mit aller Energie, Leidenschaft und auch schon mal schonungslos robusten Gangart in eine einzige Klangtaumelwelt hinein.
Das Collagenartige blitzt aber ebenfalls in Janáčeks 1. Streichquartett auf – wobei die Belceas sich auch hier als Meister des unmittelbaren, zwischen fiebrig-nostalgisch und grotesk-hintergründig daherkommenden Ausdrucks erweisen. Gerade einmal ein Vierteljahrhundert liegen zwischen Janáčeks 2. Streichquartett und dem Streichquartett Nr. 1 des Ungarn György Ligeti, mit dem das Album schließlich ausklingt. Mit bärbeißigem Zugriff und expressionistischem Furor durchlebt und durchzittert das Belcea Quartet das mit „Métamorphoses nocturnes“ betitelte Werk. Und wie bei Janáček zeigen die Musiker bei Ligeti, dass seine Moderne nicht ohne die Tradition zu denken ist. Ziemlich spektakuläres Streichquartettspiel ist all das.

Guido Fischer, 18.05.2019

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