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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Melodic Ornette Coleman

Joachim Kühn

ACT/Edel ACT9763
(54 Min., 1 - 3/2018)

Die meisten Jazzfans hängen Vorurteilen über Ornette Coleman nach. Ihnen genügt, dass er 1960 mit seinem Doppelquartett das Album „Free Jazz“ eingespielt hat, um auf Distanz zu seinem restlichen Schaffen zu gehen. Dabei verpassen sie so großartige Alben wie „The Shape Of Jazz To Come“, das „Stockholm Concert“, „Dancing In Your Head“, „Of Human Feelings“, „In All Languages“, „Song X“ und viele andere Meisterwerke. Ihnen allen ist gemeinsam, dass Ornette Coleman unfassbar schöne Melodien entwickelt hat, die seine Band harmolodisch ausgestaltet – also jenseits der gebräuchlichen Harmonielehre mit Akkorden, sie sich im Zusammenspiel aus der Melodie ergeben. Das macht die Stücke manchmal etwas sperrig.
Für Joachim Kühn hat sich vor rund zwei Jahrzehnten ein Lebenstraum erfüllt: Er konnte von 1995 bis 2000 sechzehn Konzerte mit Ornette Coleman spielen. Für jeden dieser Auftritte verfasste Coleman zehn Stücke, zu denen Kühn einen Klavierpart ausarbeiten sollte. Jeweils eine Woche lang probten sie in Colemans Studio in Harlem, nahmen die Stücke auf und spielten sie genau einmal in der Öffentlichkeit. Seitdem lagern die Duette im Archiv – ein bislang ungehobener Schatz.
Zu seinem 75. Geburtstag gönnte sich Kühn das Vergnügen, elf dieser Themen für Solo-Piano zu bearbeiten; zwei Variationen von Colemans wohl bekanntestem Stück „Lonely Woman“ und eine persönliche Widmung Kühns vervollständigen das Album: vierzehn pianistische Kleinode, jedes auf eine eigene Art gleichzeitig melodiös, sperrig, an Überraschungen, Stopps, unerwarteten Wendungen und Brüchen reich, aber trotzdem nie ins Beliebige abrutschend. So selbstverständlich wie die Melodie eines Kinderliedes wirkt das Thema von „Lost Thoughts“, bevor Kühn es in rasante Läufe umformt. Kantig wirken Themen wie „Immoriscible Most Capable Of Being“, während sich „Food Stamps On The Moon“ aus raschen, dunklen Bewegungen entwickelt. Durch „Songworld“, „Tears That Cry“, „Hidden Knowledge“, „Love Is Not Generous, Sex Belongs To Woman“ oder „Somewhere“ wehen hingegen vage Erinnerungen an Blues, Balladen und die melancholische Atmosphäre vieler Spirituals. Während eine erste Version von „Lonely Woman“ das Album mit dunklem Rumoren eröffnet, beschließt eine zweite Fassung die Reihe der Coleman-Originals als aufgeraute Ballade. Nun bleibt nur noch Raum für Kühns aufwühlende, siebenminütige Ehrbezeugung „Dedication To Ornette By Joachim Kühn: The End Of The World“.

Werner Stiefele, 23.02.2019


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