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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Beethovens C-Dur-Messe ist weit mehr als nur eine kleine Schwester der berühmten „Missa solemnis“: Kirchenmusikgeschichtlich markiert sie einen Wandel in der Vertonungstradition des Messordinariums, und die damit verbundene Wirkung des Stücks ist eindrucksvoll dokumentiert. Fürst Esterházy, der für den Namenstag seiner Gattin noch bis 1802 jährlich eine neue Festmesse von Joseph Haydn komponiert bekommen hatte, beauftragte 1807 (nachdem in den Jahren dazwischen u. a. J. N. Hummel Messen geliefert hatte) Ludwig van Beethoven mit der Komposition eines passenden Stückes. Beethoven konnte oder wollte kein Stück im althergebrachten Stil der klassischen „sinfonischen Messe“ anfertigen, sondern schuf – bei etwa gleichen besetzungstechnischen Rahmenbedingungen – eine Messe aus dem Geist der Aufklärung heraus: Die lateinischen Texte werden nicht einfach mit breitem Pinselstrich auf zwar engagierte, aber auch recht gefällige Weise abgespult, sondern werden – dies wird besonders im „Credo“ hörbar – den Hörern Punkt für Punkt und Aussage für Aussage markant vor Augen geführt: „Ich glaube“ ist bei Beethoven keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Aufgabe. Dass Christus für das Heil der Menschen vom Himmel herabgestiegen ist, wird als unerhörtes Ereignis, ja fast als Skandal herausgestellt, und dass der Sohn vom Vater „gezeugt und nicht geschaffen“ ist, wird so originell hervorgehoben, dass man über die theologisch bedeutsame Stelle stolpern muss. Dem Fürsten Esterházy hat dieses neuartige Stück allerdings nicht gefallen: Er, der Haydns prästabilierte Jubelmessen-Welt gewohnt war, hat sich über dieses widerborstige Werk ziemlich echauffiert.
Der Kirchenmusik-erfahrene Howard Arman hat den Chor des Bayerischen Rundfunks in diesem Sinne sehr sprach-affin auf das Projekt vorbereitet, zudem klingt das Ensemble angenehm homogen und fokussiert im Sinne der von Beethoven gestellten Aufgabe eines bewussten, Satz für Satz mitvollziehbaren Reflektierens des Messtextes. Anders leider das Solistenquartett: Hier hört man das für Sinfoniekonzerte seit langem typische Neben- und Auseinander einer wahllos zusammengekauften Truppe aus Einzelkämpfern. In einer Messe, die keine großen Soli, sondern auch im solistischen Bereich vor allem Ensemblestellen bietet, führt sich das ad absurdum: Während der Chor z. B. einheitlich „eleison“ singt, hören wir bei den Soli direkt nacheinander „eläison“, „ölöison“ und „äläison“. Wenigstens eine einheitliche Aussprache wäre doch angebracht, ein wirkliches Aufeinander-Eingehen hätte eigentlich das Ziel sein sollen. Stattdessen werkelt jeder für sich. Maximilian Schmitt klingt müde und vibriert übermäßig, Genia Kühmeier schiebt sich mehr durch ihre Solopassagen als dass sie ihre Stimme führt. Gerhild Romberger kommt in puncto Linienführung und Stimmsitz auch oft auf keinen grünen Zweig. Das ist mehr als schade: Warum legt Mariss Jansons auf die Spezifika der vokalen Ebene so wenig Wert? Kirchenmusik lebt vom Text, gerade im Fall eines so eigenwilligen Stücks wie diesem.

Michael Wersin, 08.12.2018


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