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N° 1353
13. - 22.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Wolfgang Amadeus Mozart

c-Moll-Messe KV 427. Neufassung von Robert D. Levin

Diana Damrau, Juliane Banse, Lothar Odinius, Markus Marquardt, Gächinger Kantorei Stuttgart, Bach-Collegium Stuttgart, Helmuth Rilling

hänssler Classic/Naxos 98.227
(76 Min., 3/2005) 1 CD

Darf, kann, soll man das? Mozarts "große Messe" vervollständigen, dieses - trotz Requiem - bedeutendste geistliche Werk des Salzburgers, das einzigartig dasteht zwischen Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa solemnis? Ja, man darf, kann und soll das, wenn man Robert D. Levin heißt! Schon im "Mozartjahr" 1991 erregte der Pianist und Harvard-Gelehrte Aufsehen mit seinem neu instrumentierten und fertig gestellten Requiem; nun überbietet er sich, wiederum von der Internationalen Bachakademie Stuttgart und ihrem Leiter Helmuth Rilling beauftragt, nochmals mit der "Neufassung" der um 1782/83 konzipierten c-Moll-Messe. Nach der Stuttgarter Premiere im März diesen Jahres liegt nun Rillings CD-Mitschnitt vor. Und mit diesem die Erkenntnis, dass die nächstjährigen Jubelfeiern mit neuen und aufregenden Mozart-Eindrücken aufwarten, noch bevor sie richtig begonnen haben.
Mozarts Gemütslage während seiner Arbeit an der c-Moll-Messe war denkbar zerrissen: zu Beginn zeigt er sich glücklich über die Schwangerschaft seiner Konstanze, sodann tief erschüttert über den frühen Tod seines ersten Kindes. Wohl diesem Umstand ist es zuzuschreiben (wobei eine Parallelisierung von persönlichem Empfinden und Werk bei Mozart bekanntermaßen höchst problematisch ist), dass die überaus festlich angelegte Messe unvollendet blieb: nur Kyrie und Gloria sowie das Credo bis zum "Et incarnatus" wurden fertig gestellt (wobei hier bereits die Streicherstimmen fehlen), ferner das Sanctus und Hosanna zu fünf Stimmen (geplant war eine achtstimmige Doppelchörigkeit), sowie das Soloquartett des Benedictus. Für seine "Neufassung" musste Levin folglich nicht nur die fehlenden Stimmen der erhaltenen Fragmente ergänzen, sondern auch und vor allem alle fehlenden Messteile des Credo sowie das Agnus Dei und das abschließende Dona nobis pacem neu komponieren.
Natürlich kann man nach dem Hören dieses um gut 20 Minuten länger dauernden KV 427 über einige Abschnitte auch "diskutieren", so etwa über Levins "Crucifixus", das - gerade nach Mozarts betörendem Wunderwerk des "Et incarnatus" - recht schulmäßig-altbacken daherkommt; oder umgekehrt über das etwas zu extrovertiert geratene "Agnus Dei" (oder den allzu überbordend koloraturverliebten Solisten-Einschub vor dem letzten unisono-Choreinsatz der "Cum sancto spiritu"-Fuge, den die herkömmliche, von Robbins Landon besorgte Peters-Ausgabe ebenfalls nicht enthält). Doch das schmälert kaum die Bewunderung für die Stilsicherheit, die Levin en gros an den Tag legt. Selbstverständlich resultiert diese nicht einfach nur aus dessen Fantasie. Vielmehr waren ihm des Meisters Quellen Richtschnur bzw. Vorbild, d. h. dessen hinterlassene Skizzen, aber auch die früheren Messen und die zeitgleichen oder wenig später geschaffenen Kompositionen. Man staunt über Levins kontrapunktisch-polyphones "Handwerk" etwa in der groß dimensionierten Fuge "Et vitam venturi" nicht minder wie über seine plastische, durchweg spannungsgeladene Interpretation des Credo-Textes - beides in jener barockisierenden Art, die ganz von Mozarts ausführlichen Bach- (und Händel-)Studien dieser Zeit zeugt.
Rilling steuert Maßgebliches zu diesem Staunen bei, treibt er seine beiden bewährt-bekannten Ensembles doch zu Höchstleistungen an - zumindest in puncto Virtuosität (während die Stimmkultur der Gächinger nicht durchweg homogen ist und auch die Dynamik im Chor wie Orchester manche weitergehende Differenzierung vertragen hätte). Beim Stuttgarter Allround-Kantor wird jede sentimental-romantisierende Mozart-Seligkeit à la Karajan im Ansatz verscheucht. Davor schützt schon das schlanke, mitunter harsche, schroffe Klangbild (wie in der "Qui tollis"-Klage) und vor allem die fulminanten, mitunter grenzwertigen Tempi. Umso betörender kommt jene zentrale "Et incarnatus"-Arie daher, in der Diana Damrau in sphärischer Zwiesprache mit der Oboe/Flöte im wahrsten Sinne Atemberaubendes meistert und leistet. Nicht so ganz weit oben rangieren ihre Solistenkollegen. Gleichwohl bleibt diese Mozart-Tat eine wahrhaft außergewöhnliche.

Christoph Braun, 01.09.2007


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