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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Fanfare

Sollen wir uns erinnern? Nun, einen kurzen, inwendig-wehmütigen Blick zurück wollen wir uns doch gestatten. Salzburg, das war ein Erlebnis in diesem Sommer. Wir sprachen ja bereits beim letzten Male ausführlich davon, wollen aber an dieser Stelle nicht verabsäumen, drei zauberhafte Abende nachzureichen, die nicht in das Gebiet der Oper fallen, sondern in das der Instrumentalmusik. Und da bot Salzburg doch mindestens eine Sensation. Oder sagen wir: zwei halbe. Eine große und eine kleine. Fangen wir mit letzterer an. Auch weil die Bedingungen so unfein waren. Grau der Himmel, grau die Stimmung, grau auch irgendwie die Gesichter derer, die zu diesem Klavierabend ins Mozarteum gekommen waren. Dort gab der 23-jährige polnische Wunderknabe Rafał Blechacz sein Salzburgdebüt. Und spielte beileibe nicht nur Donnerwetterstücke. Nein, der junge Mann, der übrigens im Gespräch einen eher scheuen Eindruck macht (und uns mit der Ankündigung, bald ein Philosophiestudium aufnehmen zu wollen, in Entzücken versetzt hat), dieser Rafaeł Blachacz hatte sich wirklich Gedanken gemacht und präsentierte ein Programm mit Werken von Bach, Liszt, Debussy und Chopin. Das besaß programmatischen Sinn und war pianistisch tadellos. Und was die h-Moll-Sonate von Chopin angeht, war es sogar mehr, weit mehr. Es war schlichtweg hinreißend. Gibt man dem Mann ohne Eigenschaften, wie wir ihn vorerst und mit Musil’scher Ehrbezeugung nennen wollen, noch ein wenig Leben in die Hand, dann kann das ein ganz Großer werden.
Zwei andere wohnen schon lange auf dem Olymp. Das Problem ist nur: Einen der beiden bekommt man nur selten zu Gesicht.
Fangen wir also mit dem andern an. Maurizio Pollini war da. Und wie er da war! Pollini spielte ein nachgerade gigantomanisch-utopisches Sonatenprogramm, das aus nicht weniger als der f-Moll-Sonate Schumanns, der b-Moll-Sonate Chopins und dem Liszt’schen Werk der gleichen Gattung in h-Moll bestand. Wahnsinn, dachten wir. Und fragten klammheimlich und leise: Ist der verrückt geworden? Ist er nicht. Er ist einfach ein fantastischer Pianist. Was dazu führte, dass der Abend ein rauschendes Fest wurde.
Ganz nüchtern waren wir, als Krystian Zimerman die Bühne betrat, das Phantom, wie Freunde von uns den ruhmreichen polnischen Künstler nennen. Obwohl es schon wieder hieß, er sagt vielleicht ab, ließ sich Zimerman leibhaftig blicken in Salzburg und reüssierte mit Beethoven und polnischer Moderne. Das Publikum war hingerissen von dieser klangsensualistischen und strukturell so ungemein zwingenden Art und Weise des Musizierens, und wir waren es auch.
Dann aber waren die schönen Tage von Salzburg wirklich zu Ende. Traurig fuhren wir nach Hause, machten uns aber bald erneut auf den Weg, diesmal nach Berlin, zum Musikfest. Mit drei katholischen Schwertönern (Schwerenöter war nur einer von ihnen). Stockhausen, Messiaen, Bruckner – sie bildeten den Schwerpunkt dieses Festivals – und wir bekennen es freimütig, wir haben die Auftritte genossen: das Concertgebouw Orkest Amsterdam mit Jansons, das London Symphony Orchestra mit Harding, das SWRSinfonieorchester mit Cambreling und vieles mehr. Genossen haben wir auch die Konzerte der Berliner Orchester, allen voran die beiden Auftritte der Berliner Philharmoniker, die erst Messiaens »Turangalîla- Symphonie« und dann – im Flughafen Tempelhof – Stockhausens »Gruppen« aufführten. Grandios war das. Aber noch ein Konzert wollen, ja müssen wir herausstellen. Das Orchestre de Paris spielte unter der Leitung von Christoph Eschenbach, einem der feinsten Musiker unter der Sonne, Messiaens zauberhaftirisierendes Stück »Les offrandes oubliées«, »Ma mère l’oye« von Ravel und nach der Pause die »Lyrische Symphonie« von Zemlinsky. Insbesondere der Zemlinsky war (und das trotz eines völlig erkälteten Matthias Goerne, der besser daheim geblieben wäre) wundervoll. Es war der Sieg der Poesie über den Alltag. Nicht zuletzt wegen Christine Schäfer. Ach, kann die göttinnengleich singen, wenn sie will. In der Hoffnung, sie möge uns noch viele schöne Stunden schenken, bis zum nächsten Mal
Ihr Tom Persich

Tom Persich, 03.05.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2008



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