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(c) Herbert Weisrock
Beim heiteren Gespräch in Berlin mit der 41-jährigen Altsaxofonistin Silke Eberhard und dem 69-jährigen Pianisten Uli Gumpert scheint unwillkürlich Oscar Pettifords oft missverstandener Titel vom Blues im Wandschrank auf.
Einst steckte der Blues für Silke Eberhard als Objekt der Begierde in Form des väterlichen Tenorsaxofons im Wandschrank. Auf der schwäbischen Ostalb spielte Klein-Silke unter dem Dirigat des Vaters Klarinette in der Trachtenkapelle. Im Gegensatz zur Klarinette bedeutete das Saxofon im Schrank Jazz und Freiheit. Heimlich übte sie stundenlang darauf; als es herauskam, schenkte ihr der Vater ein Altsaxofon. Das führte in der Folge dazu, dass sie als Jazz-Studentin ins Berlin der Nachwende-Zeit kam. Die überbordenden Aktivitäten und die immense Offenheit dort erlebte sie als großartige Bildungs- und Selbsterfahrungsmöglichkeit.
Auch Uli Gumpert wuchs in einem Dorf auf, in dem der Vater die beherrschende musikalische Gestalt war. Ein verehrter Kunstlehrer, der als ausübender Musiker für den ausgefallenen Musiklehrer eingesprungen war, brachte in der thüringischen Provinz dem jungen Uli den Jazz nahe und bestärkte ihn, in Weimar auf die Hochschule zu gehen. Ein Studienplatz für Klavier war nicht frei; der zuständige Hornist allerdings befand, dass Gumpert einen Hornistenmund habe. So wurde aus dem Pianisten ein Horn-Student. Der machte nebenher Dixieland, bekam Charles Mingus zu hören und war fortan für die freie und offene Musik infiziert. Mangelhafte Leistungen in Marxismus-Leninismus katapultierten ihn aus der Hochschule – dafür wurde er zum führenden Pianisten des Free Jazz in der DDR.
Die Wendezeit erlebte Gumpert fern der Szene in der Komfort-Zone des erfolgreichen Fernsehserien- und Filmkomponisten. Als dieses Betätigungsfeld Mitte der 90er Jahre wegbrach, nahm er erst wahr, was sich da alles getan hatte. Michael Griener, der Schlagzeuger seiner neu formierten Workshop Band, schleppte ihn 1998 zur Free Jazz Jamsession von Silke Eberhards Geburtstag.
Drei Jahre später wird Eberhard die kongeniale Bläserin von Gumperts B3-Projekt. Der hat sich einen Traum erfüllt und eine Hammondorgel gekauft, um „soulig, bluesiges Zeugs“ zu spielen. Im gleichen Jahr bestreiten die beiden als Teile eines Quintetts einen frei improvisierten Club-Auftritt, von dem beide sagen: „Das war der Wahnsinn“. Einmal fragt Produzent Ulli Blobel den Pianisten, warum denn Eberhard nicht in der Workshop Band spiele, und wenn da schon alle Stellen besetzt seien, sollten sie eben im Duo zusammen musizieren. Das wurde begeistert realisiert und zeitigte schließlich die CD „Peanuts & Vanities“.
„Wir wissen beide, was guter Jazz ist“, sagt Gumpert; Mingus, Monk, Dolphy und Ornette Coleman sind Quellen, auf die sich die musikalische Vater-Tochter-Alliance bezieht. Mit den spontanen humorigen Peanuts-Miniaturen erobern sie nun ihr Publikum auch live. Gleichzeitig hoffen sie auf eine Vinyl-Veröffentlichung des B3-Projekts, um den Blues tiefschwarz aus dem Schrank zu befreien.
Thomas Fitterling, 29.03.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2014
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