home

N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Oper & Konzert · Fanfare

Fanfare

Heute wollen wir an dieser Stelle aus gegebenem Anlass einmal kurz das Politische streifen. Alle Musik sei politisch, hat Luigi Nono postuliert. Wer nun glaubt, das sei so dahingesagt, weil es gut klingt oder weil der italienische Komponist damit die Welt erschrecken wollte, der irrt natürlich gewaltig. Nono meinte es ernst, und kaum eines seiner Stücke klingt nicht politisch – vielleicht am ehesten noch das phänomenale Diotima-Streichquartett, welches uns an die Grenzen des Hörbaren lockt und auf eine ingeniöse Weise reifer werden lässt, noch während wir es hören. Doch nicht von diesem Opus wollen hier schwärmen, sondern von Nonos azione scenica »Al gran sole carico d’amore«. Allein der Titel! Fantastisch. Unter der großen Sonne beladen mit Liebe, das kann nur von Rimbaud sein. Ist es übrigens auch, aus einem seiner Gedichte. Und passt haargenau auf das Musiktheater (Oper war ein Gattungsbegriff, den Nono entschieden ablehnte, Oper war ihm viel zu unpolitisch, kulinarisch und affirmativ), das nun – nach seiner Salzburger Sentimentalisierung, in Leipzig zu sehen war, an einem Ort also, der eine politische Vergangenheit ebenso sein eigen nennt wie eine ästhetische. Die Geschichte, von der wir erzählen wollen, spielt am Augustusplatz, dem Sitz der Oper. Und dort eben feierte Peter Konwitschnys Inszenierung, die 2004 in Hannover herausgekommen war, so eine Art Wiederauferstehung. Konwitschny hat das Werk überprüft, neue Sänger verpflichtet, hier und da noch ein wenig präzisiert. Das Ergebnis ist umwerfend, hinreißend, grandios. »Al gran sole« als ein Stück über den Versuch, Liebe unter die Menschen zu bringen, und das nicht nur mit den Mitteln der Politik. Kaum je haben wir eine schönere Form von Utopie auf der Opernbühne erlebt, kaum je war das Politische der Musik so evident wie auch das Humanistische. Ein Postulat, ein Credo, ein Bekenntnis. Und gesungen wurde auch auf höchstem Niveau, wir können die Namen nicht alle nennen. Also nennen wir den Namen des Dirigenten, der all dies wunderbar bündelte: Johannes Harneit.
Noch ganz umwölkt vor Glück und in der Gewissheit, dass wir diesen Landstrich ja nicht so häufig besuchen werden in unserem Leben, nutzten wir die Chance und fuhren nach Dessau, die Bauhaus-Stadt. Ein riesiges Theater haben sie dort, leider regierte in diesem Theater in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ein Intendant, der beinahe alles selbst inszenieren musste, von dieser Kunst aber herzlich wenig verstand. Nun haben sie in Dessau ein neues Team. Und vor allem eine neue Hausregisseurin. Andrea Moses heißt sie und gäbe es eine Künstlerin unter den Regieführenden, die es verdient hätte, in die Fußstapfen Peter Konwitschnys zu treten, dann sie. In Dessau inszenierte sie »Lohengrin«, und sie tat es in einer Art und Weise, dass man gar nicht umhin konnte zu denken: Das ist genial! So genial wie der »Lohengrin« vor elf Jahren in Hamburg. Den, Sie ahnen es schon, natürlich ein gewisser Peter Konwitschny auf die Bühne brachte. Ja, so schließt sich ein Kreis, nimmt der Welten Lauf eine Richtung ein, die uns gefällt.
Gefallen hat uns auch der Echo Klassik in Dresden, was von Dessau nun nicht gar so weit entfernt ist. Also fuhren wir hin. Musikalisch war nicht alles erste Sahne, da gab es, wir wollen dies nicht verschweigen, Lücken. Aber nicht über die Lücken wollen wir berichten, sondern über das Schöne an diesem Abend. Zum Beispiel über die clarté der Stimme von Elína Garancˇa, die, weil sie die »Carmen« gerade in London gesungen hatte, mal eben die Habanera zum Besten gab: lupenrein, wie wir fanden, und ausdrucksstark. Dass Anne-Sophie Mutter den (makellosen) Ausdruck liebt, wussten wir vorher, von ihrer Darbietung mit einem Satz aus Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert waren wir deshalb kaum überrascht. Es war makellos. Mehr als das geriet der Auftritt von Nuria Rial, der Nachwuchskünstlerin des Jahres. Wie ein Bergquell klang sie, klar und rein. Übertroffen wurde sie nur noch von einem. Vom Meister selbst. Plácido Domingo wurde für sein Lebenswerk ausgezeichnet, und an diesem Abend konnte man sich wieder einmal davon überzeugen, warum. Der Mann ist Ausstrahlung pur. Er ist die Verkörperung des Humanen in der Kunst, der Liebe und allen anderen schönen Dingen. Und er ist leidenschaftlich, bei allem, was er tut. Und so war er es auch in Dresden, wo er eine Zarzuela-Arie von Torroba sang und tief im Herzen berührte.
Domingo befand sich zu dieser Zeit mitten in den Proben für Verdis »Simon Boccanegra« an der Berliner Lindenoper. Keine Frage, dass wir dort waren, um ihn zu hören, nicht ohne bang eine Frage in den Raum zu kullern: »Simon Boccanegra«? Die Titelpartie? Verdi komponierte sie für Bariton. Domingo aber ist eigentlich Tenor. Doch was heißt schon »eigentlich «. Ein Künstler, der fast alles kann (außer Dirigieren, das kann er nicht so gut), der kann auch das Fach wechseln und eine Etage tiefer betören. Und, kaum verwunderlich, so war es denn auch. Mögen manche Töne verhuscht oder gar verrutscht gewesen sein, sei es drum: Entscheidend war, dass Domingo die Seelenqualen des Dogen von Genua glaubwürdig verkörperte und dass er uns, das Publikum, in seinen Bann zog. Wie sehr er es tat, wird deutlich, wenn man weiß, was für eine bräsige Inszenierung ihm als Hintergrund diente. Das war, wir können es nicht verschweigen, tiefstes Mittelalter. Gut geeignet also für Mailand, wohin die Produktion Anfang nächsten Jahres wandert, nicht zuletzt, weil Daniel Barenboim dort Zelte stehen hat. Barenboim dirigierte auch in Berlin, er tat es mit der gewohnten, tiefgreifenden Emotionalität, mit der er meistens dirigiert. Auf dem von ihm ausgelegten Klangteppich hatten es gleichwohl alle Sänger leicht, sich durchzusetzen. Barenboim ließ es nur dort krachen, wo die Sänger ohnehin im Terzett oder Quartett oder gemeinsam mit dem Chor agierten. Sonst war die Begleitung feinfühlig. Besonders feinfühlig war sie, wenn Anja Harteros als Maria Boccanegra alias Amelia Grimaldi auf die Bühne trat. Ein grüner, später weißer und noch später blauer Engel, ausgestattet mit einer samtenen Stimme, die in ihrem Glühen ein wenig an die beste Maria aller Zeiten, an Maria Callas, erinnert. In diesem Sinne, alles Gute bis zum nächsten Mal, Ihr Tom Persich

Tom Persich, 22.02.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2009



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Hausbesuch

Konzerthaus Berlin

Der Gold-Tanker tuckert noch

Vor 200 Jahren wurde das Konzerthaus Berlin eröffnet – als Theater. Das wird gefeiert, unter […]
zum Artikel

Pasticcio

Nur die Stimme zählt

Meldungen und Meinungen der Musikwelt

Als die kanadische Sopranistin Measha Brueggergosmans wieder einmal auf ihre Hautfarbe angesprochen […]
zum Artikel

Pasticcio

Jaja, der „Sigi“, dieser Hallodri…

2016 ging eine erste kleine Empörungswelle durch die Beletage der deutschen Kultur- und […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


Abo

Top