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13. - 24.04.2024

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RUHR 2010 - Fritz Pleitgen

Kunst und Kohle

2010 übernehmen Essen und die Metropolregion Ruhr den ruhmreichen Titel einer »Kulturhauptstadt Europas«. Führender Kopf und treibende Kraft des Mammutunternehmens ist Fritz Pleitgen. Und er scheint fest entschlossen, dem Negativimage vom Kohlenpott nachhaltig entgegenzuarbeiten. Thomas Voigt traf den ehemaligen WDR-Intendanten und Vorsitzenden der ARD in Essen.

RONDO: Wenn man an all die Rivalitäten denkt, die es in der Vergangenheit bei Kulturschaffenden im Ruhrgebiet gegeben hat, fällt es schwer zu glauben, dass sich alle Städte mit »RUHR 2010« zu einer Metropole zusammenschweißen lassen.

Fritz Pleitgen: Vor einigen Jahren war solche Skepsis auch berechtigt. Aber es freut mich sehr, sagen zu können, dass die früher so lähmende Rivalität zwischen den Städten überwunden wurde. Inzwischen ist ein erfrischender Geist der Kooperation eingezogen. Die entscheidenden Impulse zu dieser Entwicklung kamen nicht von »oben«, sondern von den einzelnen Kultureinrichtungen. Zum Beispiel haben sich die Schauspielhäuser für ein »Odyssee«-Projekt zusammengeschlossen, ohne ihre eigene Identität aufzugeben. Oder nehmen Sie das Henze-Projekt, das von über 40 Institutionen präsentiert wird. Der entscheidende Motor war und ist die Idee einer Kulturmetropole. Ich bin guten Mutes, dass dieser kooperative Geist auch nach 2010 anhalten wird.

RONDO: Neben »volksnahen« Reihen wie »Jedem Kind ein Instrument« und »!Sing«, einem Gesangsforum für Laien, steht mit über 200 Veranstaltungen das Lebenswerk von Hans Werner Henze im Zentrum des Musikprogramms. Bei allem Respekt für Henze: Ist das nicht ein bisschen abgehoben?

Pleitgen: Marie Zimmermann, die leider viel zu früh von uns gegangen ist, hat mir in Bezug auf ihre Erfahrungen mit der Expo in Hannover gesagt: »Man muss sich davor hüten, dem Publikum einen Kulturinfarkt ans Herz zu spielen.« Diese Mahnung habe ich im Ohr. Mir ist klar, dass wir uns in einer Risikozone bewegen – zumal der Marketing-Etat zugunsten der künstlerischen Qualität reduziert wurde. Aber: Wir können hier etwas Besonderes ausspielen, nämlich die ganz besonderen Aufführungsräume, die anderen Kulturmetropolen nicht zur Verfügung stehen. Wir müssen Mut zum Wagnis zeigen. Und wir können mit Henze einen starken Impuls setzen und etwas anbieten, was sicher auch internationale Wirkung haben wird.

RONDO: Ein zentrales Thema von »RUHR 2010« lautet: »Mythos Ruhr begreifen«. Was war es, was hier einen Mythos schuf?

Pleitgen: Erstens die Solidarität – entstanden aus der Situation im Bergbau, wo Menschen unter schwierigsten Bedingungen gearbeitet haben und sich der eine auf den anderen verlassen musste. Zweitens die Toleranz: Hier haben schon immer Menschen von ganz unterschiedlicher Herkunft in Frieden zusammen gelebt. Und drittens der unbedingte Wille, nach Niederlagen wieder aufzustehen. Das sind die drei Dinge, die noch immer die unverkennbare Identität dieser Region ausmachen.

RONDO: Ein weiteres Motto lautet »Kultur im Wandel – Wandel durch Kultur« – was bedeutet das konkret für das Ruhrgebiet?

Pleitgen: Nach Kohle und Stahl ist jetzt die Kultur eine wesentliche Kraft, um die Entwicklung dieser Region einen entscheidenden Schritt voranzubringen: Vom Kohlenpott zur »Metropole Ruhr«. Leider existiert in den Köpfen vieler Menschen, die außerhalb des Ruhrgebiets leben, noch immer ein längst veraltetes Image: Eine Montanregion im Niedergang mit grauen, abgewrackten Städten und vergifteter Landschaft. Dass sich das dramatisch verändert hat, ist vielen gar nicht bewusst. Allerdings wollen wir auch nicht verschweigen, dass wir noch mitten in diesem Wandel stecken. Wir haben noch eine schwierige Strecke vor uns. Wir glauben fest daran, dass Kultur eine Attraktion für Industrieansiedlung ist. Kultur inspiriert. Inspiration schafft Kreativität. Und Kreativität schafft am Ende auch Arbeitsplätze.

RONDO: Was bedeutet »RUHR 2010« für Sie persönlich?

Pleitgen: Eine völlig unerwartete Aufgabe, die ich möglicherweise nicht übernommen hätte, wenn ich gewusst hätte, wie viel Arbeit auf mich zukommt. Aber ich betrachte sie als die bisher wichtigste berufliche Aufgabe in meinem Leben.

Thomas Voigt, 22.02.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2009



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